Kein Sektor auf Kurs: Neuer Klimabericht warnt vor dramatischem Rückstand bei globalen Zielen
Von den 45 Indikatoren, die den weltweiten Fortschritt bei der Klimapolitik messen, erfüllt kein einziger die für 2030 gesetzten Ziele. Zwar bewegt sich die Mehrheit in die richtige Richtung, doch das Tempo und die Größenordnung der Maßnahmen reichen bei weitem nicht aus, um katastrophale Klimafolgen abzuwenden.
„Alle Systeme stehen auf Rot“, warnt Clea Schumer, Forschungsmitarbeiterin beim WRI und Co-Autorin des Berichts. „Ein Jahrzehnt der Verzögerung hat den Weg zum 1,5-Grad-Ziel gefährlich verengt. Fortschritt im Schneckentempo reicht nicht mehr – jedes Jahr, das wir verlieren, macht den Aufstieg steiler.“
Die Autor:innen des Berichts bewerten 45 zentrale Indikatoren - von Energieerzeugung über Verkehr und Industrie bis hin zu Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Klimafinanzierung. Das Ergebnis:
6 Indikatoren sind „nicht im Ziel“, bewegen sich aber zumindest in die richtige Richtung.
29 Indikatoren sind „weit entfernt vom Ziel“ und schreiten viel zu langsam voran.
5 Indikatoren entwickeln sich in die völlig falsche Richtung.
Für 5 weitere fehlen ausreichende Daten.
Besonders besorgniserregend: Die öffentliche Finanzierung fossiler Brennstoffe ist seit 2014 um durchschnittlich 75 Milliarden US-Dollar pro Jahr gestiegen und lag 2023 bei über 1,5 Billionen US-Dollar. Auch die Abholzung von Wäldern nimmt wieder zu, nachdem sie zuvor zurückgegangen war. Der Anteil von Kohle an der weltweiten Stromproduktion sinkt nur minimal – zu gering, um mit dem wachsenden Energiebedarf Schritt zu halten.
„Wir sind nicht nur im Rückstand – wir fallen bei den entscheidenden Themen komplett durch“, sagt Sophie Boehm, Senior Research Associate beim WRI und Co-Autorin. „Ohne einen raschen Ausstieg aus der Kohle, das Ende der Entwaldung und die Einstellung fossiler Subventionen verspielen wir die Grundlage für eine lebenswerte Zukunft.“
Trotz der alarmierenden Gesamtlage gibt es positive Entwicklungen: Private Klimafinanzierung ist 2023 auf ein Rekordniveau von 1,3 Billionen US-Dollar gestiegen, das ist ein Zuwachs um fast 50 Prozent gegenüber 2022. Auch der Anteil von Solar- und Windstrom hat sich seit 2015 mehr als verdreifacht, und die weltweiten Investitionen in saubere Energien übertrafen 2024 bereits im zweiten Jahr in Folge die in fossile Brennstoffe.
„Es ist ermutigend zu sehen, dass saubere Energie und Elektromobilität heute wettbewerbsfähig oder sogar günstiger sind als fossile Alternativen“, sagt Helen Mountford, Präsidentin und CEO der ClimateWorks Foundation. „Diese Entwicklung stärkt nicht nur den Klimaschutz, sondern auch die wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit.“
Um die Erderwärmung noch auf 1,5°C zu begrenzen, müsste das Tempo der Maßnahmen drastisch steigen. Der Bericht nennt konkrete Ziele bis 2030:
Kohleausstieg zehnmal schneller – jährlich müssten rund 360 Kohlekraftwerke stillgelegt werden.
Abholzung neunmal schneller reduzieren – derzeit verschwinden umgerechnet 22 Fußballfelder Wald pro Minute.
Öffentlichen Nahverkehr fünfmal schneller ausbauen – jährlich rund 1.400 Kilometer neue Metro-, Bus- und Bahnstrecken.
Fleischkonsum (Rind, Lamm) in Hochkonsumländern um das Fünffache senken.
Technologische CO₂-Entfernung zehnmal schneller ausbauen.
Klimafinanzierung jährlich um rund eine Billion US-Dollar erhöhen.
„Das Ergebnis der Wissenschaft ist eindeutig: Die Welt bewegt sich nicht schnell genug“, mahnt Bill Hare, CEO von Climate Analytics. „Nur rasche und dauerhafte Emissionssenkungen können das 1,5-Grad-Ziel noch retten.“
Wendepunkt oder Weckruf?
Ani Dasgupta, Präsident des WRI, sieht die Weltgemeinschaft an einem Scheideweg: „Wir können entweder in Systemen verharren, die Klima- und Menschheitskatastrophen anheizen – oder den Wandel hin zu einer nachhaltigen, gerechten Zukunft beschleunigen. Der Fahrplan liegt auf dem Tisch. Jetzt geht es um Tempo und Zusammenarbeit.“
Kelly Levin vom Bezos Earth Fund fasst zusammen: „Saubere Energieinvestitionen überholen fossile, neue Technologien gewinnen an Fahrt – das zeigt, dass Wandel möglich ist, wenn Ehrgeiz und Kapital zusammenkommen. Die Herausforderung ist, diese Dynamik zu vervielfachen.“