© Senckenberg/Dejid / Eine weibliche mongolische Gazelle (Procapra gutturosa) mit Sender
© Senckenberg/Dejid / Eine weibliche mongolische Gazelle (Procapra gutturosa) mit Sender

Auf Hufen um die Welt: Online-Atlas hilft wandernde Tiere zu schützen

Schutzmaßnahmen sollen damit besser planbar sein

Ein internationales Team von Forschenden – darunter Wissenschaftler*innen der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung, der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft sowie der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt – hat vor kurzem einen neuen globalen Atlas für Huftierwanderungen vorgestellt. Der Online-Atlas ist der erste seiner Art und bietet detaillierte Karten zu den Wanderrouten der Tiere. Diese sollen zukünftig dabei helfen, Schutzmaßnahmen für wandernde Huftiere besser zu planen – beispielsweise beim Neubau von Eisenbahnlinien auf bekannten Wanderrouten.

Über 18.000 Kilometer – eine halbe Erdumrundung – legte eine einzelne Gazelle nachweislich über einen Zeitraum von fünf Jahren in der mongolischen Steppe zurück. Damit ist das Tier kein Einzelfall: Wanderbewegungen sind charakteristisch für viele Huftierarten – besonders in Lebensräumen mit ausgeprägter Saisonalität. „Weltweit signalisieren die wechselnden Jahreszeiten tausenden von Huftieren – von argentinischen Guanakos über Alpensteinböcke bis hin zu nordamerikanischen Karibus –, Berge, Wüsten und Gewässer zu durchqueren, um ihre saisonalen Lebensräume zu erreichen“, erklärt Prof. Dr. Thomas Müller vom Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum Frankfurt (SBiK-F).

Müller ist einer von über 80 Forschenden aus 50 Institutionen, die sich weltweit zusammengeschlossen haben, um im Rahmen der Globalen Initiative für Huftierwanderungen (Global Initiative for Ungulate Migration, GIUM) empirische Tracking-Daten zu analysieren und so erstmalig einen digitalen Atlas für Huftierwanderungen zu erstellen. Das heute veröffentlichte interaktive Kartenwerk umfasst kartierte Wanderungen für 20 über den Globus verteilte Populationen und zeigt Migrationsrouten mit hoher, mittlerer und geringer Nutzung für eine Vielzahl von Arten – von den ikonischen Gnus der Serengeti bis hin zu den Saigas der zentralasiatischen Steppe.

„Heute stehen wandernde Huftiere vor einer Vielzahl von Bedrohungen: lineare Barrieren wie Straßen oder Eisenbahnen, die illegale Entnahme von Tieren, Habitatverlust oder -fragmentierung sowie der Klimawandel“, legt Dr. Nandintsetseg Dejid, Wildtierökologin beim SBiK-F, dar und fährt fort: „Zentralasiatische Länder wie Kasachstan oder die Mongolei sind Hotspots für Infrastrukturentwicklung – zum Beispiel wurden in den letzten Jahren viele hundert Kilometer neue und teils eingezäunte Eisenbahnlinien gebaut, die mitten in den Hauptverbreitungsgebieten wandernder Arten liegen. Es ist wichtig zu verstehen, wie die Tiere auf solche menschengemachten Barrieren reagieren, um ihnen Möglichkeiten zu bieten, diese auf ihren Wanderungen zu überwinden.“

Die beteiligten Forschenden betonen, dass die Karten der Wanderungen dabei helfen können, dem weltweiten Verlust von Huftierarten entgegenzuwirken. „Der Atlas kann dazu beitragen, Migrationen und ihre Variabilität unter verschiedenen Umweltbedingungen und menschlichen Einflüssen in den Wildtierlebensräumen zu erfassen und zu verstehen. Auf dieser Grundlage kann dann auch das Wildtiermanagement auf zukunftsfähige Füße gestellt werden. Für lokale Regierungen, Wildtiermanager*innen und Naturschutzpraktiker*innen sind die Karten ein Schlüssel, um vor Ort Lösungen zu finden, die diese Migrationsrouten funktionsfähig halten“, erläutert Dr. Wibke Peters von der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft und weiter: „Dies gilt auch für Europa, wo es die unterschiedlichsten Ausprägungen von Huftiermigration gibt: von Rentieren in Finnland, die sehr weite Strecken zurücklegen, bis zu Gämsen in den Alpen, die hauptsächlich zwischen verschiedenen Höhenlagen im Sommer und Winter wechseln. Wir wissen beispielsweise auch, dass Tiere in stark zersiedelten Landschaften zwar weniger wandern, aber sich dennoch Wege durch unsere Kulturlandschaft suchen. So ist im Atlas beispielsweise eine beeindruckende Rothirschmigration nahe der Stadt Genf abgebildet. Hier gilt es, Lösungen für das Management von Wildtieren und Lebensräumen aufzuzeigen.“

Weitere Korridorkarten sollen den frei zugänglichen Atlas kontinuierlich wachsen lassen. „Gemeinsam möchten wir die Forschung zu wandernden Huftieren vorantreiben und Regierungsbehörden sowie Naturschutzorganisationen ein wissensbasiertes Werkzeug an die Hand geben, um Tiere, wie die wandernde mongolische Gazelle, effektiv zu schützen“, schließt Müller.

Weitere Informationen:
Globaler Atlas der Huftierwanderungen

Judith Jördens


Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /