© David_SMC pixabay.com
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Reparatur von Rückenmarksverletzungen dank Nanotechnologie

Die Technologie könnte auch für Pathologien wie Alzheimer oder Parkinson nützlich sein

Das Austrian Centre of Industrial Biotechnology (acib) ist Teil eines europaweiten Projektes mit dem Ziel, eine neuartige Therapie gegen Rückenmarksverletzungen (RMV) zu entwickeln. Auf Basis neuester Erkenntnisse aus Materialwissenschaften, regenerativer Medizin und Nanotechnologie wird an einem mit bioaktiven Nanoträgern ausgestatteten 3D-Theramesh geforscht, das durch elektrische Stimulation auf Abruf therapeutische Wirkstoffe an den Ort der Läsion bringt. Die Wirkstoffe aktivieren die neuronalen Regenerationsprozesse nach einer aufgetretenen RMV. Diese Technologie könnte bei Erfolg zukünftig u.a. auch für Pathologien wie Alzheimer oder Parkinson nützlich sein.


Weltweit erleiden jährlich bis zu 500.000 Menschen eine Rückenmarksverletzung (RMV). Das Rückenmark bildet den wichtigsten Teil des zentralen Nervensystems und überträgt Nervenimpulse zwischen Gehirn und Körper. Ist die Verbindung der neuronalen Schaltkreise unterbrochen, können je nach Verletzungsgrad und -lage im Rückenmark irreversible Beeinträchtigungen der Körperfunktionen und sogar der vollständige Verlust aller motorischen und sensorischen Funktionen unterhalb der Verletzungsstelle auftreten. Zu 90 Prozent werden RMV durch traumatische Ursachen wie Kraftfahrzeugunfälle, Stürze oder Sportverletzungen verursacht. Zusätzlich zu den motorischen Einschränkungen ziehen diese Läsionen erhebliche Folgen für Patienten mit sich: RMV sind mit einem zwei bis fünfmal höheren, vorzeitigen Sterberisiko verbunden und haben erhebliche sozioökonomische Auswirkungen auf Patienten, ihre Angehörigen und das Gesundheitssystem. Therapeutische Möglichkeiten für RMV-Patienten beschränken sich bisher auf symptomatische Behandlungen, da es für Verletzungen des Rückenmarks bislang keine Heilungschancen gibt.

Multidisziplinäre Forschung für neue RMV-Therapien

Das europaweite Forschungsprojekt namens Piezo4Spine" hat das Ziel, eine neuartige, multifaktorielle RMV-Therapie zu entwickeln. Das vierjährige Projekt wird mit 3,6 Millionen Euro aus den Pathfinder-Fonds der Europäischen Union gefördert und von einem multidisziplinären Konsortium aus sieben Forschungszentren aus sechs europäischen Ländern durchgeführt. Piezo4Spine wird vom ICMM CSIC Materials Science Institute of Madrid koordiniert. Unter den weiteren Partnern befinden sich das Hospital National de Parapleticos/SESCAM (Spanien), das Italienische Technologische Institut, die Universität Coimbra in Portugal, die Katholische Universität Löwen (Belgien), die deutsche Firma Black Drop Biodrucker GmbH und nicht zuletzt das Austrian Centre of Industrial Biotechnology (acib), das internationale Kommunikations- und Vernetzungsleistungen in das Projekt miteinbringt.

Piezo4Spine nutzt neueste Erkenntnisse der Materialwissenschaften, regenerativen Medizin und Nanotechnologien und betreibt Pionierwissenschaft in diesen Fachbereichen. Conchi Serrano, Projektleiterin und Forscherin am ICMM, beschreibt das Ziel des Projekts: "Wir möchten Rückenmarksverletzungen besser verstehen und mit diesem Wissen eine therapeutische Lösung für Rückenmarksverletzungen finden. Dabei konzentrieren wir uns auf zwei Bereiche der neuronalen Reparatur, denen die wissenschaftliche Gemeinschaft bisher nicht genügend Bedeutung beigemessen hat: Piezo-Mechanorezeptoren und meningeale Fibroblasten."

Regeneration von Nervenzellen fördern

Der erste Bereich der Piezo4Spine-Therapie zielt auf die Mechanotransduktion ab. Das ist die Fähigkeit unserer Zellen, mechanische Reize in elektrische Nervensignale umzuwandeln. Verantwortlich dafür sind sogenannte Piezo-Mechanorezeptoren, welche druckspezifische Nervensignale in Zellen auslösen. Diese Rezeptoren wurden erst 2010 von Ardem Patapoutian entdeckt, der 2021 für seine Forschungen den Nobelpreis für Medizin erhielt. Serrano will gemeinsam mit ihrem Team diese Piezo-Rezeptoren und ihre Auswirkungen auf pathologische Prozesse wie RMV genauer unter die Lupe nehmen: „Piezo-Mechanorezeptoren sind in verletzten Nervenzellen ständig aktiviert und führen zu Signalen, welche die Regeneration der Nervenzelle, genauer gesagt des Axons, verhindern“. Als Axon wird der charakteristische Fortsatz einer Nervenzelle bezeichnet, welcher für die Weiterleitung eines elektrischen Nervensignals verantwortlich ist. Damit die Signale des Gehirns an den Körper weitergegeben werden können, müssen sich die Axone der Nervenzellen regenerieren, was die ständig aktiven Piezo-Mechanorezeptoren jedoch verhindern. Die Forscher suchen nach einem Weg, die „Störsignale“ der Piezo-Mechanorezeptoren abzuschwächen, um die Axonregeneration der Nervenzellen voranzutreiben.

Die Bildung von Narbengewebe blockieren

Neben der Erforschung der Piezo-Rezeptoren konzentriert sich das Projekt auf eine zweite therapeutische Säule – meningeale Fibroblasten: „Fibroblasten zählen zu den am schnellsten reagierenden Zelltypen und sind an Heilungsprozessen beteiligt, indem sie Narbengewebe bilden. Diese Narbenbildung aber behindert die natürliche Regeneration von geschädigtem Nervengewebe wie z.B. des Rückenmarks. Aus diesem Grund wollen wir diese Fibroblasten blockieren, damit die körpereigenen Regenerationsprozesse gefördert werden“, erklärt Serrano.

Innovative 3D-Teramesh-Nanocarrier-Technologie

Um sowohl Piezo-Mechanorezeptoren abzuschwächen als auch Fibroblasten an der Narbenbildung zu hindern, wird aktuell an einer neuen Technologie geforscht: „Im Laufe des Projektes wird mithilfe eines 3D-Bioprintingverfahrens eine dreidimensionale Matrix entwickelt. Dieses sogenannte 3D-Theramesh ist mit bioaktiven Nanoträgern ausgestattet, die mittels elektrischer Stimulation aus dem Theramesh aktive therapeutische Wirkstoffe an den Ort der Läsion bringen“, sagt Serrano. Die freigesetzten Wirkstoffe sollen einerseits die Piezo-Rezeptor-Produktion der betroffenen Nervenzellen absenken und andererseits die Fibroblasten so modifizieren, dass sie weniger Narbengewebe ausbilden. Serrano ist davon überzeugt, dass „dieses Projekt, wenn es erfolgreich ist, den Zugang zu neuen Kenntnissen und Technologien ermöglichen wird, die nicht nur für die neuronale Regeneration von RMV, sondern auch für andere Pathologien wie Alzheimer oder Parkinson nützlich sein könnten."




Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /