Europaweite ARCHE NOAH Umfrage: Neue EU-Regeln gefährden Landwirtschaft und Züchtung
Brüssel/Schiltern/Wien – Bürokratische Auflagen könnten zur Existenzfrage für die Vielfalt werden. Eine EU-Verordnung über die Registrierung von Saatgut und anderem pflanzlichen Vermehrungsmaterial (PVM-Verordnung) könnte das Aus für viele Saatgutbetriebe oder Baumschulen bedeuten. Das zeigt eine europaweite Umfrage von ARCHE NOAH unter rund 200 Betrieben aus 16 EU-Staaten. Dabei hat sich die EU-Kommission vorgenommen, den bürokratischen Aufwand für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) um mindestens 35 % zu reduzieren. „Die Betriebe in unserer Umfrage betonen, wie wichtig klare Regeln sind. Aber so wie das Gesetz gerade verhandelt wird, bleiben echte Vielfalt und fairer Wettbewerb auf der Strecke”, so Paul Grabenberger, Experte für Saatgutrecht bei ARCHE NOAH, heute bei einer Pressekonferenz gemeinsam mit betroffenen landwirtschaftlichen Betrieben. Die neuen bürokratischen Regeln werden in Brüssel in den kommenden Wochen verhandelt.
Die betroffenen Betriebe – meist Kleinstunternehmen mit einem Jahresumsatz von weniger als 100.000 Euro – leisten durch die Erhaltung und Vermarktung alter, samenfester Sorten einen unschätzbaren Beitrag zur landwirtschaftlichen Vielfalt. Die teilnehmenden Betriebe verkaufen im Schnitt trotz ihrer geringen Größe pro Jahr 152 Sorten aus 41 Kulturarten – sie bieten also eine größere Auswahl an Kulturarten als führende Konzerne auf dem Saatgut-Weltmarkt. Viele bewahren Sorten, die an den Klimawandel angepasst sind, lokal produziert werden und ohne Patente nutzbar bleiben. Gerade diese Sorten sind für Ernährungssouveränität und Resilienz entscheidend.
„Wenn wir künftig wegen jedes verschickten Edelreises umfangreiche bürokratische Pflichten auferlegt bekommen, werden wir den Reiserversand nicht mehr leisten können – oder die Reiser werden so teuer, dass kaum noch jemand bestellt“, beschreibt Hans-Joachim Bannier vom Obst-Arboretum Olderdissen im deutschen Bielefeld die Situation. „So wie uns geht es vielen Erhalter:innen alter Obstsorten. Die neuen Bestimmungen wären ein Todesstoß für die Vielfalt!“
Die wichtigsten Ergebnisse der Umfrage:
· Neue Labortests würden bis zu 30.000 € pro Jahr verschlingen;
· 13 % der befragten Züchter:innen und Samenbaubetriebe müssten ihre Tätigkeit einstellen;
· 30 % müssten die Vielfalt in ihrem Sortenangebot reduzieren;
· 66 % dürften kein Saatgut mehr an Landwirt:innen verkaufen;
Stefan Doeblin vom portugiesischen Unternehmen Sementis Vivas kritisiert im Rahmen der Pressekonferenz, dass es zu wenig bio-zertifiziertes Saatgut in Europa gibt: „Wir entwickeln und produzieren Saatgut, um die Biodiversität zu erhöhen, die Ernährung in Europa zu sichern, guten Geschmack und wichtige Inhaltsstoffe zu generieren. Die vorhandene Bürokratie und Kontrollauflagen sind eine große Belastung für KMUs und die geplanten neuen Gesetze und Auflagen werden zur Aufgabe von vielen Unternehmen und Initiativen führen."
Statt Züchter:innen und Vielfalt zu schützen, sieht der Gesetzesvorschlage dieselben Auflagen für Konzerne wie für Kleinstbetriebe vor. „Wenn ein Hof mit nur drei Mitarbeiter:innen denselben Aufwand betreiben muss wie ein globaler Konzern, dann ist das keine Vereinfachung. Vielfaltsbetriebe werden per Gesetz aus dem Geschäft gedrängt“, so Paul Grabenberger von ARCHE NOAH. Die geplanten Vorschriften zu Rückverfolgbarkeit, Trennung von Anbauflächen und zu kostspieligen Tests treffen kleine Höfe mit voller Wucht – und wurden in der Folgenabschätzung der Kommission ignoriert.
„Vermehrung und Weitergabe von Saatgut ist ein bäuerliches Ur-Recht. Es wurden immer die geschmacklich besten und schönsten Exemplare selektiert. Welchen Sinn hat es da für uns, zwei Felder von einer Sorte anzubauen – eines für die Vermehrung und eines zur Ernährung –, nur um gesetzliche Anforderungen zu erfüllen, die eigentlich an die Industrie gerichtet sind?“, fragt Katharina Soos von der österreichischen „Sortenwerkstatt“.
ARCHE NOAH fordert von Rat, Parlament und Kommission echte Ausnahmen für Kleinstunternehmen von den Melde- und Dokumentationspflichten. Es braucht angemessene und sinnvolle Produktionsvorgaben statt teurer Labortests und es braucht Rechtssicherheit für die nicht-kommerzielle Weitergabe von Saatgut. Am 27. und 28. Mai 2025 tagt die Ratsarbeitsgruppe in Brüssel, dabei stehen die vorgesehenen neuen Verpflichtungen auf der Tagesordnung. Ein paar Wochen später, am 23. Juni 2025, verhandeln die EU-Landwirtschaftsminister:innen in Luxemburg. „Wir und viele kleine Betriebe aus Europa, die Unglaubliches für die Vielfalt im Garten und auf dem Feld leisten, erwarten von Minister Totschnig und seinen Kolleg:innen, dass sie Kleinstbetriebe vor dieser unverhältnismäßigen Bürokratie bewahren“, so Paul Grabenberger von ARCHE NOAH. „Wir müssen die Vielfalt schützen – statt sie durch Bürokratie zu vernichten.“
Zum vollständigen Bericht:
www.arche-noah.at/media/buerokratie_gegen_biodiversitaet_mai_2025_-_kurzfassung_de_1.pdf
Die Betriebe im Rahmen der Pressekonferenz:
Der Bioland-Betrieb „Obst-Arboretum Olderdissen“ ist ein besonderer Obstbaubetrieb. Neben drei Hektar Streuobstwiesen ist das Herzstück des Betriebs in Bielefeld ein zwei Hektar großer Sortengarten mit rund 400 Apfelsorten. Hier werden viele alte und seltene Sorten erhalten, die es in Baumschulen oder Reisermuttergärten nicht mehr gibt. Viele der alten Sorten erweisen sich als weit resistenter gegen Krankheiten und widerstandsfähiger gegenüber klimatischen Veränderungen als die Sorten des heutigen Obstbaus. Die Pflanzung wird auch für Forschungsprojekte sowie für die ökologische Züchtung genutzt.
„Sementes Vivas“ ist ein 100% biologisches, Demeter zertifiziertes Saatgutunternehmen mit Hauptsitz in Portugal. Das Unternehmen züchtet, produziert und vermarket Saatgut für Gemüse, Kräuter, Blumen und Leguminosen. Die Produktion findet in der Mittelmeerregion und Polen statt. Zielgruppen sind Hobby- bzw. kleine/mittelgroße Bio-Landwirt:innen. Züchtung erfolgt partizipativ mit Landwirt:innen, Züchter:innen und Forschungsinstituten in verschiedenen Ländern, um unterschiedliche Klimabedingungen abzudecken. Sementes Vivas setzt auf Wachstum durch Kooperationen mit anderen Saatgutunternehmen und mit Handelspartner:innen.
Das kleine Unternehmen „Sortenwerkstatt“ beruht auf einem Biobetrieb, auf dem das Saatgut hergestellt wird. Es werden hauptsächlich samenfeste Sorten vermehrt, weniger neue Sorten gezüchtet. Das Sortiment reicht von alten Sorten, regionalen Sorten, neuen Sorten bis hin zu Ausgefallenem, das es sonst nicht zu kaufen gibt. Es wird ein Onlineshop betrieben und auf Märkte gefahren. Weiters kooperiert die Sortenwerkstatt mit der Arche Noah in Schiltern, es werden Sortensichtungen und Sortenerhaltungen durchgeführt. Durch den Anbau der Sorten in freier Natur und der Selektion der Besten werden diese an die klimatischen Bedingungen angepasst und zukunftsfähig gemacht.
Die betroffenen Betriebe – meist Kleinstunternehmen mit einem Jahresumsatz von weniger als 100.000 Euro – leisten durch die Erhaltung und Vermarktung alter, samenfester Sorten einen unschätzbaren Beitrag zur landwirtschaftlichen Vielfalt. Die teilnehmenden Betriebe verkaufen im Schnitt trotz ihrer geringen Größe pro Jahr 152 Sorten aus 41 Kulturarten – sie bieten also eine größere Auswahl an Kulturarten als führende Konzerne auf dem Saatgut-Weltmarkt. Viele bewahren Sorten, die an den Klimawandel angepasst sind, lokal produziert werden und ohne Patente nutzbar bleiben. Gerade diese Sorten sind für Ernährungssouveränität und Resilienz entscheidend.
„Wenn wir künftig wegen jedes verschickten Edelreises umfangreiche bürokratische Pflichten auferlegt bekommen, werden wir den Reiserversand nicht mehr leisten können – oder die Reiser werden so teuer, dass kaum noch jemand bestellt“, beschreibt Hans-Joachim Bannier vom Obst-Arboretum Olderdissen im deutschen Bielefeld die Situation. „So wie uns geht es vielen Erhalter:innen alter Obstsorten. Die neuen Bestimmungen wären ein Todesstoß für die Vielfalt!“
Die wichtigsten Ergebnisse der Umfrage:
· Neue Labortests würden bis zu 30.000 € pro Jahr verschlingen;
· 13 % der befragten Züchter:innen und Samenbaubetriebe müssten ihre Tätigkeit einstellen;
· 30 % müssten die Vielfalt in ihrem Sortenangebot reduzieren;
· 66 % dürften kein Saatgut mehr an Landwirt:innen verkaufen;
Stefan Doeblin vom portugiesischen Unternehmen Sementis Vivas kritisiert im Rahmen der Pressekonferenz, dass es zu wenig bio-zertifiziertes Saatgut in Europa gibt: „Wir entwickeln und produzieren Saatgut, um die Biodiversität zu erhöhen, die Ernährung in Europa zu sichern, guten Geschmack und wichtige Inhaltsstoffe zu generieren. Die vorhandene Bürokratie und Kontrollauflagen sind eine große Belastung für KMUs und die geplanten neuen Gesetze und Auflagen werden zur Aufgabe von vielen Unternehmen und Initiativen führen."
Statt Züchter:innen und Vielfalt zu schützen, sieht der Gesetzesvorschlage dieselben Auflagen für Konzerne wie für Kleinstbetriebe vor. „Wenn ein Hof mit nur drei Mitarbeiter:innen denselben Aufwand betreiben muss wie ein globaler Konzern, dann ist das keine Vereinfachung. Vielfaltsbetriebe werden per Gesetz aus dem Geschäft gedrängt“, so Paul Grabenberger von ARCHE NOAH. Die geplanten Vorschriften zu Rückverfolgbarkeit, Trennung von Anbauflächen und zu kostspieligen Tests treffen kleine Höfe mit voller Wucht – und wurden in der Folgenabschätzung der Kommission ignoriert.
„Vermehrung und Weitergabe von Saatgut ist ein bäuerliches Ur-Recht. Es wurden immer die geschmacklich besten und schönsten Exemplare selektiert. Welchen Sinn hat es da für uns, zwei Felder von einer Sorte anzubauen – eines für die Vermehrung und eines zur Ernährung –, nur um gesetzliche Anforderungen zu erfüllen, die eigentlich an die Industrie gerichtet sind?“, fragt Katharina Soos von der österreichischen „Sortenwerkstatt“.
ARCHE NOAH fordert von Rat, Parlament und Kommission echte Ausnahmen für Kleinstunternehmen von den Melde- und Dokumentationspflichten. Es braucht angemessene und sinnvolle Produktionsvorgaben statt teurer Labortests und es braucht Rechtssicherheit für die nicht-kommerzielle Weitergabe von Saatgut. Am 27. und 28. Mai 2025 tagt die Ratsarbeitsgruppe in Brüssel, dabei stehen die vorgesehenen neuen Verpflichtungen auf der Tagesordnung. Ein paar Wochen später, am 23. Juni 2025, verhandeln die EU-Landwirtschaftsminister:innen in Luxemburg. „Wir und viele kleine Betriebe aus Europa, die Unglaubliches für die Vielfalt im Garten und auf dem Feld leisten, erwarten von Minister Totschnig und seinen Kolleg:innen, dass sie Kleinstbetriebe vor dieser unverhältnismäßigen Bürokratie bewahren“, so Paul Grabenberger von ARCHE NOAH. „Wir müssen die Vielfalt schützen – statt sie durch Bürokratie zu vernichten.“
Zum vollständigen Bericht:
www.arche-noah.at/media/buerokratie_gegen_biodiversitaet_mai_2025_-_kurzfassung_de_1.pdf
Die Betriebe im Rahmen der Pressekonferenz:
Der Bioland-Betrieb „Obst-Arboretum Olderdissen“ ist ein besonderer Obstbaubetrieb. Neben drei Hektar Streuobstwiesen ist das Herzstück des Betriebs in Bielefeld ein zwei Hektar großer Sortengarten mit rund 400 Apfelsorten. Hier werden viele alte und seltene Sorten erhalten, die es in Baumschulen oder Reisermuttergärten nicht mehr gibt. Viele der alten Sorten erweisen sich als weit resistenter gegen Krankheiten und widerstandsfähiger gegenüber klimatischen Veränderungen als die Sorten des heutigen Obstbaus. Die Pflanzung wird auch für Forschungsprojekte sowie für die ökologische Züchtung genutzt.
„Sementes Vivas“ ist ein 100% biologisches, Demeter zertifiziertes Saatgutunternehmen mit Hauptsitz in Portugal. Das Unternehmen züchtet, produziert und vermarket Saatgut für Gemüse, Kräuter, Blumen und Leguminosen. Die Produktion findet in der Mittelmeerregion und Polen statt. Zielgruppen sind Hobby- bzw. kleine/mittelgroße Bio-Landwirt:innen. Züchtung erfolgt partizipativ mit Landwirt:innen, Züchter:innen und Forschungsinstituten in verschiedenen Ländern, um unterschiedliche Klimabedingungen abzudecken. Sementes Vivas setzt auf Wachstum durch Kooperationen mit anderen Saatgutunternehmen und mit Handelspartner:innen.
Das kleine Unternehmen „Sortenwerkstatt“ beruht auf einem Biobetrieb, auf dem das Saatgut hergestellt wird. Es werden hauptsächlich samenfeste Sorten vermehrt, weniger neue Sorten gezüchtet. Das Sortiment reicht von alten Sorten, regionalen Sorten, neuen Sorten bis hin zu Ausgefallenem, das es sonst nicht zu kaufen gibt. Es wird ein Onlineshop betrieben und auf Märkte gefahren. Weiters kooperiert die Sortenwerkstatt mit der Arche Noah in Schiltern, es werden Sortensichtungen und Sortenerhaltungen durchgeführt. Durch den Anbau der Sorten in freier Natur und der Selektion der Besten werden diese an die klimatischen Bedingungen angepasst und zukunftsfähig gemacht.