Europas LNG-Boom verliert an Dynamik: Die Gasnachfrage sinkt deutlich
Seit Beginn der Energiekrise im Jahr 2022 wurden europaweit 19 LNG-Terminals gebaut oder erweitert, um die Abhängigkeit von russischem Pipelinegas zu verringern. Doch 2025 mehren sich die Anzeichen einer Trendwende: mehrere Projekte werden gestoppt, verschoben oder geschlossen, weil die erwartete Nachfrage einfach ausbleibt.
In Deutschland wurden heuer gleich mehrere LNG-Vorhaben gestrichen oder auf Eis gelegt. In Frankreich ordnete ein Gericht an, dass das schwimmende Terminal von TotalEnergies im Hafen von Le Havre entfernt werden muss, da die Anlage über ein Jahr lang ungenutzt war.
Laut dem European LNG Tracker des IEEFA wuchs die europäische Regasifizierungskapazität 2023 noch um 13 % und 2024 um 8 %. Im laufenden Jahr liegt das Wachstum nur noch bei 2 %, dem niedrigsten Wert seit Beginn des LNG-Ausbaus.
„Europa hat seit 2022 massiv in LNG-Terminals investiert, um sich vom russischen Gas zu lösen“, so Ana Maria Jaller-Makarewicz, leitende Energieanalystin für Europa beim IEEFA. „Doch die jüngsten Stilllegungen und Verzögerungen zeigen, dass die Nachfrage überschätzt wurde. Wer weiterbaut, riskiert Fehlinvestitionen, während die Energiewende zunehmend an Fahrt gewinnt.“
Das Institut erwartet, dass Europas Gasverbrauch bis 2030 um 15 % und die LNG-Importe um 20 % zurückgehen werden.
Mehrere Projekte kämpfen zusätzlich mit technischen Schwierigkeiten. In Deutschland wurde ein schwimmendes Terminal (FSRU) im Hafen Mukran nur ein Jahr nach seiner Inbetriebnahme wieder stillgelegt. In Griechenland lag die Auslastung eines Terminals im ersten Halbjahr 2025 aufgrund technischer Probleme bei nur 2 %. Außerdem ging ein weiteres FSRU aus Deutschland nach Jordanien, da der heimische Bedarf niedriger ausfiel als erwartet.
„Die LNG-Industrie sieht ihre Terminals oft als Garant für Versorgungssicherheit“, so Jaller-Makarewicz. „Doch Europas Erfahrung mit ungenutzten oder verzögerten Anlagen zeigt: Die Nachfrageeinsparung war letztlich der entscheidende Faktor für Energiesicherheit – nicht der Bau zusätzlicher Kapazitäten.“
Trotz des verlangsamten Ausbaus verzeichnete Europa im ersten Halbjahr 2025 Rekordimporte von LNG, nachdem die russischen Pipelineflüsse über die Ukraine mit Jahresbeginn vollständig gestoppt wurden.
Die LNG-Importe stiegen um 24 % gegenüber dem Vorjahr, wobei die USA mit 57 % Marktanteil ihre Rolle als Hauptlieferant weiter ausbauten: Es zeigt sich ein Plus von 46 % im Vergleich zu 2024.
Parallel dazu erreichten jedoch auch die LNG-Importe aus Russland ebenfalls ein Rekordhoch. Trotz Sanktionen gegen russische Energielieferungen stiegen die EU-Importe im ersten Halbjahr 2025 um 7 %. Ein vollständiges Importverbot für russisches LNG soll erst ab Januar 2027 gelten.
Frankreich war mit 41 % der russischen LNG-Mengen wichtigster Abnehmer, gefolgt von Belgien (28 %), Spanien (20 %), den Niederlanden (9 %) und Portugal (2 %).
Zwischen Anfang 2022 und Mitte 2025 gaben die EU-Staaten insgesamt rund 120 Milliarden Euro für Pipelinegas und LNG aus Russland aus.
Die IEEFA-Daten deuten auf eine strukturelle Marktveränderung hin: Die Gasnachfrage in Europa sinkt dauerhaft. Mit dem Ausbau erneuerbarer Energien, der Elektrifizierung im Gebäudesektor und der industriellen Umstellung auf grüne Prozesse verliert Erdgas immer mehr an Bedeutung.
Die Analyst:innen warnen, dass sich neue LNG-Terminals rasch zu stranded assets entwickeln könnten, also zu Investitionen, die sich wirtschaftlich nicht mehr rechnen.
„Europa steht an einem Wendepunkt“, fasst Jaller-Makarewicz zusammen. „Die entscheidende Frage lautet nicht mehr, wie viel LNG Europa importieren kann, sondern wie viel es überhaupt noch braucht.“
Zentrale Zahlen laut IEEFA (Stand: Oktober 2025):
19 LNG-Terminals seit 2022 gebaut oder erweitert
−15 % erwarteter Rückgang des Gasverbrauchs bis 2030
−20 % erwarteter Rückgang der LNG-Importe bis 2030
120 Mrd. € Ausgaben für russisches Gas (2022–2025)
57 % der europäischen LNG-Importe stammen aus den USA