© NHM Wien, Alice Schumacher/ Lade mit hunderten Schalen von Turmschnecken aus Ottakring im Naturhistorischen Museum Wien. Die Schalen sind 14 Millionen Jahre alt
© NHM Wien, Alice Schumacher/ Lade mit hunderten Schalen von Turmschnecken aus Ottakring im Naturhistorischen Museum Wien. Die Schalen sind 14 Millionen Jahre alt

Mitteleuropa war vor 15 Millionen Jahren ein globaler Biodiversitätshotspot

Museumssammlungen erlauben Rückblick auf Klmageschichte

Die Sammlungen der Naturhistorischen Museen sind einzigartige Archive der Evolution. Sie erlauben einen Blick weit in die geologische Vergangenheit. Schalen von Meeresschnecken sind besonders häufige Fossilien und eignen sich gut dazu, Klimageschichte und ehemalige Meeresverbreitungen zu rekonstruieren. Eine Arbeitsgruppe unter der Leitung von Mathias Harzhauser (NHM Wien) hat sich den Meeresschnecken des sogenannten Paratethys-Meeres gewidmet, das vor 35 bis 11 Millionen Jahren weite Teile von Mittel- und Südosteuropa bedeckte. Anhand von über 800 Arten fossiler Meeresschnecken von rund hundert Fundpunkten verfolgten die Paläontologen nun die Geschichte dieses Meeres und stießen dabei auf eine unerwartete Vielfalt.

Das Zusammentreffen mehrerer Faktoren war für einen ungewöhnlich starken Anstieg der Biodiversität verantwortlich. Noch vor 18 Millionen Jahren erstreckte sich ein tiefes, west-ost orientiertes Meer von der Schweiz bis weit nach Russland. Das Meeresleben war in seiner Vielfalt mit der des heutigen Mittelmeeres vergleichbar. Vor etwa 16 Millionen Jahren änderte sich die Landschaft dramatisch. Durch das Herandriften der Afrikanischen Platte wurden die Alpen angehoben und das Meer des Alpenvorlandes trocknete aus. Nun begannen sich die Karpaten als Inselbogen aus dem Meer zu heben. Innerhalb dieses Bogens entstanden zahlreiche kleine Insel. Vor 15 Millionen Jahren hatte sich Zentral- und Osteuropa schließlich in einen etwa 1000 Kilometer breiten, subtropischen Archipel verwandelt, der entfernt an die heutige Karibik erinnert. Diese stark strukturierte Meereslandschaft begünstige die Artenvielfalt. Zusätzlich erreichte das miozäne Klimaoptimum zu dieser Zeit seinen Höhepunkt. Aufgrund der globalen Erwärmung weitete sich der europäische Riffgürtel nach Norden aus und reichte nun etwa bis Eisenstadt. Mit den Riffen kamen auch viele spezialisierte Arten, die als Parasiten von und in den Korallen lebten. Die Korallenstöcke boten viele ökologische Nischen und wirkten als Booster der Vielfalt.

So eröffneten Tektonik und globales Klima ein einzigartiges Zeitfenster für eine boomende Biodiversität. "Damals war die Paratethys, ein Randmeer Eurasiens in der Erdgeschichte, mehr als doppelt so artenreich wie das heutige Mittelmeer, und beherbergte sogar mehr Arten als das heutige Rote Meer. Überboten wird der miozäne Biodiversitäts-Hotspot heute nur von der tropischen Vielfalt rund um die Philippinen" so der Studienleiter Univ. Prof. Dr. Mathias Harzhauser, Direktor der Geologisch-Paläontologischen Abteilung des NHM Wien.

Anhand hunderter Fundorte konnten die Paläontologen auch innerhalb des verschwundenen Meeres nach geographischen Mustern suchen. Dabei zeigte sich, dass im heutigen Rumänien der Schwerpunkt des Biodiversitäts-Hotspots lag. Hier entstanden zahlreiche neue Arten.

Die Daten dokumentieren aber auch das Ende des Höhenflugs. Vor 13,8 Millionen Jahren begannen sich in der Antarktis mächtige Eispanzer aufzubauen. Mit der globalen Abkühlung verschwanden auch die Riffe aus Mitteleuropa. Der Kollaps der Ökosysteme führte zum Ausstreben von zwei Dritteln der Arten. Da nun viel Wasser im Eis gebunden war, sank der Meeresspiegel weltweit um 50 Meter ab. Ehemalige Untiefen zerteilten das Meer nun und die Faunen verloren ihre Verbindungen. "In den isolierten Meeresbecken entwickelten sich nun lokal beschränkte Arten, die wiederum Ausgangspunkt für kleinere Diversitäts-Hotspots waren. Die Boom-Phase war aber vorbei" meint Dr. Thomas A. Neubauer von der Bayerischen Staatssammlung für Paläontologie und Geologie in München, der als Ko-Autor der Studie für die statistischen Analysen verantwortlich war. Als das Meer vor 12,7 Millionen Jahren durch Gebirgsbildung von den Weltmeeren getrennt wurde, verschwand die subtropische Vielfalt endgültig.

Ermöglicht wurde die Analyse durch die Bearbeitung tausender Funde in der Sammlung des Naturhistorischen Museums Wien, die durch die Arbeitsgruppe in mehr als zwei Jahrzehnten sukzessive revidiert und in mehr als 20 Monographien publiziert wurden. Erst diese enorm zeitaufwändigen Arbeiten lieferten die Datenbasis für die Analysen, die nun in einem Artikel in der Fachzeitschrift Scientific Reports veröffentlicht wurden.

Zur Publikation:

Harzhauser, M., Landau, B., Mandic, O., Neubauer, T.A. 2024. The Central Paratethys Sea - Rise and demise of a Miocene European marine biodiversity hotspot. Scientific Reports 14, 16288. https://doi.org/10.1038/s41598-024-67370-6

[Pressematerial] (https://go.ots.at/EFNMZQ9f)


Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /