Im Fokus: Die neuen Spielregeln für Ernährungssicherheit
Wien - Rund 100 Fachleute und Interessierte aus der Lebensmittelbranche folgten am 30. September der Einladung zum 16. qualityaustria Lebensmittelforum. Im Mittelpunkt der Veranstaltung stand die tiefgreifende Transformation der Lebensmittelwirtschaft – ausgelöst durch neue gesetzliche Rahmenbedingungen, Berichtspflichten und wachsende gesellschaftliche Erwartungen. Zu den Vortragenden zählte auch der ehemalige EU-Agrarkommissar Franz Fischler.
„Der Weg unserer Nahrungsmittel vom Feld bis auf den Teller ist weit – und oft fehlt der Blick auf das große Ganze“, betonte Gastgeber Wolfgang Leger-Hillebrand, Leiter Branchenmanagement Lebensmittelsicherheit bei Quality Austria Certification. Viele Marktteilnehmer sähen nur ihren unmittelbaren Aufgabenbereich, doch echte Transformation könne nur gelingen, wenn die gesamte Wertschöpfungskette zusammenarbeite.
„Die Zukunft passiert nicht irgendwann, sie passiert jetzt“, so Leger-Hillebrand. „Wir müssen den erstaunlich kurzen Wirkungszeitraum nutzen, um die Weichen für eine lebenswerte und nachhaltige Zukunft zu stellen.“ Einen wichtigen Hebel sieht er in der gemeinsamen Verantwortung – auch im Hinblick auf Zertifizierungen wie ISO 9001, ISO 22000 oder die GFSI-Standards BRCGS, IFS und FSSC, die laufend an neue Anforderungen angepasst werden.
Auch Franz Fischler unterstrich die Bedeutung gemeinsamer Verantwortung: „Qualität und Sicherheit sind nur gewährleistet, wenn jedes Glied in der Lebensmittelkette seine Aufgabe ernst nimmt und das Zusammenspiel funktioniert. Dafür braucht es klare Rahmenbedingungen – gesetzlich oder durch verbindliche private Normen – sowie ein bewusstes Miteinander und eine faire Verteilung von Verantwortung und wirtschaftlichem Ertrag.“
Wie sich Ernährungssicherheit in Zukunft verändern wird, zeigte Univ.-Prof. Thilo Hofmann vom Department für Umweltgeowissenschaften der Universität Wien. Bis 2050 werde die Weltbevölkerung auf rund 9,7 Milliarden Menschen anwachsen, 70 Prozent davon in Städten. „Die romantisierte Vorstellung der Selbstversorgung ist für die meisten Menschen nicht umsetzbar. Nahrungsmittel sind längst eine globale Ware, mit der wir verantwortungsbewusst umgehen müssen“, sagte Hofmann.
Um den steigenden Bedarf zu decken, müsse die weltweite Lebensmittelproduktion um 50 bis 60 Prozent steigen – und das bei knappen Ressourcen. Schon jetzt hungere rund eine Milliarde Menschen, während ein Drittel aller Lebensmittel verschwendet werde. 37 Prozent der globalen Landfläche werden bereits für Nahrungsmittelproduktion genutzt. „Weniger Fleischkonsum und der gezielte Einsatz von Anbauflächen für menschliche Ernährung könnten bis zu vier Milliarden Menschen zusätzlich ernähren“, rechnete Hofmann vor.
Die Landwirtschaft sei heute für 19 bis 29 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen sowie für 30 Prozent des Energieverbrauchs verantwortlich. „Die Ernährungsfrage ist zentral für die Zukunft unseres Planeten. Ohne nachhaltige Ernährungssysteme und verbindliche Regeln für alle Marktteilnehmer werden wir die 17 UN-Nachhaltigkeitsziele nicht erreichen“, betonte Hofmann.
Wie die Europäische Union auf diese Herausforderungen reagiert, erläuterte Charlotte Neumair von Circular Analytics TK GmbH. Nachhaltigkeit werde zunehmend zum „Zugangsschlüssel“ der Branche – etwa durch neue Vorschriften zu Verpackungen.
Ab 2030 müssen Verpackungen verbindlichen Recycling-Kriterien entsprechen; Produkte mit weniger als 70 Prozent Recyclingfähigkeit dürfen dann nicht mehr auf den EU-Markt. Ab 2035 sind Unternehmen verpflichtet, Verpackungen effektiv zu sammeln, zu sortieren und zu verwerten, und ab 2038 gilt ein Mindestwert von 80 Prozent Recyclingfähigkeit.
„Für jedes verpackte Lebensmittel wird künftig eine individuelle Konformitätserklärung nötig sein“, erklärte Neumair. Hersteller müssen Nachweise und Berechnungen zur Verpackungseignung nachvollziehbar dokumentieren und entlang der Lieferkette bereitstellen. Fehlende Konformität kann zu Produktrückrufen und hohen Geldbußen führen. Neumair rät Unternehmen daher, sich frühzeitig auf die neuen Pflichten vorzubereiten.
Die Vortragenden des 16. qualityaustria Lebensmittelforums waren sich einig: Ernährungssicherheit der Zukunft erfordert eine tiefgreifende ökologische und ökonomische Transformation – von der Landwirtschaft über die Verarbeitung bis hin zum Handel.
Nur durch klare Regeln, Kooperation und Verantwortungsbewusstsein entlang der gesamten Wertschöpfungskette kann es gelingen, eine sichere, faire und nachhaltige Ernährung für alle zu gewährleisten.