"Die Presse" Kommentar: "Pjöngjang darf nicht Bagdad werden" (von Johann Kronspieß)
Der nordkoreanische Diktator Kim Jong Il gilt als Filmliebhaber. Offenbar versteht er tatsächlich etwas von Dramaturgie und träumt davon, dass seine Emissäre bei den heute, Mittwoch, in Peking beginnenden Sechser–Gesprächen über das umstrittene Atomprogramm Pjöngjangs Regie führen. Während US–Präsident George W. Bush in der Frage, ob der Irak Saddam Husseins tatsächlich Massenvernichtungswaffen besaß, immer mehr unter Druck gerät, kokettiert Kim vor aller Welt mit dem Einsatz von Nuklearwaffen und fordert gleichzeitig Sicherheitsgarantien von den Amerikanern. Die Stalinisten in Pjöngjang reizen bei den Gesprächen in Peking mit ihrem letzten As, der atomaren Karte. Nordkorea spielt sein altes Spiel, betreibt eine Politik des Tauschhandels – Verzicht auf maximale Bedrohung im Tausch gegen maximale Hilfeleistungen vom Ausland. Dem Regime geht es um die Sicherung seiner Existenz, um Geld und Nahrungsmittel. Bei diesem Spiel geht Kim davon aus, dass Washington Nordkorea anders behandeln wird als den Irak. Dass Bush das bisher so gehalten hat, brachte ihm zwar jede Menge Kritik – vorwiegend aus dem Westen –ein, hatte aber einen simplen Grund: Nordkorea ist ganz einfach nicht der Irak. Denn auch wenn Pjöngjang noch keine funktionsfähigen Atomwaffen besitzen sollte, verfügt es doch über ein erheblich größeres Erpressungspotential als Bagdad. Nicht umsonst übten sich nicht nur die USA, sondern auch Nordkoreas Nachbarn Südkorea, China, Japan und Russland bisher in Zurückhaltung. Nicht nur in Washington, auch in den asiatischen Hauptstädten fürchtet man, die Situation auf der koreanischen Halbinsel könnte außer Kontrolle geraten. Südkorea kann an einer Zuspitzung des Konflikts am wenigsten gelegen sein, nicht nur, weil damit die Sonnenschein–Politik der Aussöhnung mit dem Norden gescheitert wäre. Ein zweiter Koreakrieg wäre blutiger als der erste, die Hauptstadt Seoul liegt in Reichweite nordkoreanischer Waffen – egal ob atomarer oder konventioneller. Japan ist nicht minder bedroht von nordkoreanischen Raketen. Bei Amerikas engstem Verbündeten in Asien fürchtet man zudem, dass Nordkoreas Atomwaffenprogramm jener Minderheit in Tokio in die Hände spielt, die eine nukleare Bewaffnung Japans zur abschreckenden Verteidigung fordert, was einen Rüstungswettlauf mit China in Gang setzen würde. Peking ist nicht nur Austragungsort der jetzigen Gespräche, sondern auch einer der wichtigsten Mitspieler. Ein militärischer Konflikt in Korea könnte China an alte Verpflichtungen erinnern, vor allem brächte er US–Einheiten näher an die chinesische Grenze. Eindringlich setzt daher auch Peking auf eine diplomatische Lösung. Russlands Einfluss in Fernost hat stark gelitten, im Korea–Konflikt sucht Präsident Wladimir Putin die Chance, verlorenes Terrain gutzumachen. Seinen vorwiegend wirtschaftlichen Interessen würde eine Zuspitzung des Konflikts mit Nordkorea jedoch ebenfalls zuwiderlaufen. Jahrelang konnte Nordkorea – in die Region nicht eingebunden – als nuklearer Krisenherd nicht entschärft werden. Nordostasien ist noch immer geprägt von Nationalismus, Regionalismus, Rivalität und Ballast aus der Vergangenheit. Ein Sicherheitsbündnis als Wertegemeinschaft wie die Nato gibt es in Asien nicht. Es mangelt gänzlich an einem Konzept, wie einem provozierenden Nordkorea zu begegnen sei, das sich nicht an Verträge und Zusagen hält. Auch wenn – wie viele befürchten – bei den Gesprächen in Peking wieder nicht viel herauskommen wird, dann vielleicht wenigstens diese Erkenntnis: Die Bedrohung durch den Despoten Kim Jong Il kann nicht mit den gleichen Mitteln aus der Welt geschafft werden wie jene Gefahr, die von Saddam Hussein ausging. Denn die Folgen für die Region wären verheerender als im Fall des Irak – siehe oben. Deshalb darf Pjöngjang nicht Bagdad werden.
Rückfragehinweis: Die Presse Chef v. Dienst Tel.: (01) 514 14–445
*** OTS–ORIGINALTEXT UNTER AUSSCHLIESSLICHER INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS ***
OTS0207 2003–08–26/17:42
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