Das potemkische Dorf kleiner modularer Reaktoren
Kleine modulare Reaktoren sollen laut Industrieversprechen schneller, sicherer und günstiger sein als konventionelle Atomkraftwerke. Doch die euphorische Erzählung von der „disruptiven“ Nuklearinnovation verdeckt grundlegende Probleme.
Der aktuelle World Nuclear Industry Status Report (WNISR) vergleicht die Branche mit einem „Potemkinschen Dorf“ – einer künstlich errichteten Kulisse, die Fortschritt suggeriert, wo kaum einer existiert.
Der französische Klimaberater und IPCC-Experte Antoine Bonduelle brachte es 2024 auf den Punkt: Die meisten SMRs seien bisher „Papierreaktoren“ – ambitionierte Konzepte ohne reale Anlagen. In Frankreich hat bislang nur ein einziges Projekt überhaupt einen Genehmigungsantrag gestellt.
Trotzdem fließt das Geld reichlich: Der erste Haushaltsposten von „France 2030“ für Kernenergie ist mit über einer Milliarde Euro dotiert. Elf Projekte wurden gefördert – viele von ihnen stammen aus dem Umfeld des Commissariat à l’énergie atomique (CEA), das selbst mit insgesamt 27,8 Millionen Euro an Unterstützung profitiert.
Das CEA ist in der französischen Atomlandschaft allgegenwärtig: Forschungsinstitut, Waffenhersteller, Industriekonzern und Symbol nationaler Stärke zugleich. Doch auch hier sind Verzögerungen und Kostenexplosionen die Regel. Der Forschungsreaktor Jules Horowitz, ursprünglich mit 630 Millionen Euro budgetiert, verschlingt mittlerweile rund 6 Milliarden – und liegt 18 Jahre hinter dem Zeitplan.
Die Entwicklungskosten steigen in jeder Phase weiter, und private Investoren halten sich zurück. Ein Vertreter des Fonds Exergon erklärte offen, dass Investoren nur auf eine profitable Exit-Phase hoffen, nicht aber auf die industrielle Umsetzung.
Gleich mehrere Vorzeigeprojekte kämpfen inzwischen ums Überleben:
Newcleo stoppte 2025 seine Entwicklung in Großbritannien wegen fehlender öffentlicher Unterstützung.
Naarea wurde im September 2025 unter Zwangsverwaltung gestellt.
Jimmy Energy, bisher einziger Antragsteller bei der Atomaufsicht, musste sein Konzept überarbeiten, um „wettbewerbsfähig“ zu bleiben.
Allein diese drei Unternehmen erhielten bereits 57 Millionen Euro an Fördermitteln – mit ungewissem Ergebnis.
Parallel drängen die Betreiber auf deregulierte Rahmenbedingungen. Nach einem 2023 verabschiedeten Gesetz, das Genehmigungsverfahren beschleunigt und Umweltprüfungen verkürzt, lobbyieren SMR-Unternehmen für weitere Erleichterungen:
Anpassungen der Besteuerung und Sicherheitsauflagen,
Ausweitung des „öffentlichen Interesses“ auf private Atomprojekte,
und Lockerungen beim Umgang mit hochangereichertem Uran (HALEU), das ein erhebliches Proliferationsrisiko birgt.
Wenn diese Forderungen umgesetzt werden, könnten manche SMRs gefährlicher als große Reaktoren werden – insbesondere, wenn sie in der Nähe von Wohngebieten oder Industrieanlagen errichtet werden.
Die Atomindustrie verkauft die milliardenschweren Investitionen als Beitrag zur Dekarbonisierung. Doch keines der Projekte wird vor 2050 eine kommerzielle Reife erreichen – viel zu spät, um einen Beitrag zur aktuellen Klimakrise zu leisten.
Zudem sind erneuerbare Alternativen bereits heute günstiger, schneller umsetzbar und sozial besser akzeptiert.
Auch die angebliche Flexibilität der SMRs – Strom- und Wärmeerzeugung in einem – entpuppt sich als problematisch. Für industrielle Wärme müssten die Anlagen direkt in Kundennähe stehen, was Sicherheitsrisiken verschärft. Ein Beispiel: Das Zuckerunternehmen Cristal Union prüft derzeit, ob ein Reaktor des Start-ups Jimmy Energy in seiner Anlage im Département Marne installiert werden könnte.
Technisch betrachtet werden SMRs mehr Atommüll pro Kilowattstunde produzieren als herkömmliche Reaktoren. Eine Studie von 2022 kam zum Ergebnis, dass sie neunmal mehr bestrahlten Stahl erzeugen werden – zusätzlich zu neuen Brennstoffen und Abfallarten, für die es keine Entsorgungsmöglichkeiten gibt.
Wer aber entsorgt den radioaktiven Müll, wenn ein Start-up pleitegeht? Gesetzlich sind zwar die Betreiber verpflichtet, doch im Falle von Insolvenz bleibt der Staat auf den Kosten sitzen.
Trotz PR-Offensive bleibt die Bevölkerung skeptisch. Laut dem ASNR-Barometer 2025 würden nur 19 % der Franzosen neben einem nuklearen Standort leben wollen – und selbst bei kleinen Reaktoren steigt die Zustimmung nur auf 27 %.
Dabei müssten für wirtschaftlichen Erfolg Dutzende identische Reaktoren in Serie gebaut und über Europa verteilt werden. Damit steigen Transport-, Sicherheits- und Sabotagerisiken erheblich.
Die Versprechen der kleinen modularen Reaktoren klingen modern – flexibel, sauber, dezentral. Doch hinter dem futuristischen Design verbirgt sich ein altbekanntes Muster: Staatliche Subventionen, private Gewinne und öffentliche Risiken.
SMRs lösen weder das Problem der radioaktiven Abfälle noch sind sie sicherer, billiger oder schneller verfügbar als große Atomkraftwerke. Sie bleiben – bisher – vor allem eines: ein teures Fassadenprojekt im Namen des Fortschritts.