Biodiversitätsrat fordert politische Verantwortung
Wien – Am Freitag, den 28.2.2025 stellte der Österreichische Biodiversitätsrat auf den Tagen der Biodiversität 2025 an der Universität für Bodenkultur das neue „Barometer der Biodiversitätspolitik in Österreich“. Die Expert:innen haben nicht nur das Jahr 2024 evaluiert, sondern auch eine Bilanz über die vergangenen 5 Jahre der auslaufenden Legislatur gezogen. Assoz.-Prof. Andreas Tribsch, Botaniker an der Universität Salzburg mahnt: „Gestartete Projekte müssen von der neuen Regierung fortgeführt werden. Natur und Gesellschaft entfalten sich nicht, wenn man ihnen die Entwicklungsgrundlagen entzieht.“
In Europa und weltweit sind die sich verschärfenden Folgen der Klima- und Biodiversitätskrise im Jahr 2024 in einem bislang ungekannten Ausmaß spür- und sichtbar geworden. Auch in Zukunft ist mit massiven negativen Folgen für die Gesellschaft zu rechnen. Im Regierungsprogramm der scheidenden Bundesregierung wurde die Notwendigkeit eines ambitionierten Biodiversitätsschutzes erkannt und mit zahlreichen Zielen im Regierungsprogramm verankert. Trotz vieler Bemühungen wurde zu wenig in die Umsetzung gebracht, um dem Biodiversitätsrückgang tatsächlich Einhalt zu gebieten. Der Österreichische Biodiversitätsrat fordert daher die Fortführung und Umsetzung der Vorhaben und sichert die Unterstützung der wissenschaftlichen Community zu.
Verbesserungen bei nur 3 von 23 Unterpunkten des Barometers
Das Barometer der Biodiversitätspolitik ist das Ergebnis von Expert:inneneinschätzungen des Österreichischen Biodiversitätsrates. Es basiert auf den 5 Kernforderungen zum Schutz der Biodiversität in Österreich, die der Rat im Jahr 2019 erarbeitet hat. Im Jahr 2024 zeichnete die Punkte „Nationaler Biodiversitätsfonds“ (1.1) sowie „EU-Abkommen (u.a. EU-Nature Restoration Law)“ (2.1) eine geringfügig positive Veränderungen im Trend aus. Nur die Ampel zu „Partizipativen Prozessen“ (3.6) sprang von Gelb auf Grün. Die Mehrheit von 20 Subforderungen des Rates konnte keine Verbesserungen, der Punkt „Biologie-Bildung in allen Ausbildungsstufen“ sogar einen Abwärtstrend verzeichnen.
Biodiversitätsfonds auf der Kippe?
Prof. Christian Sturmbauer, Zoologe an der Universität Graz, betont: „Der Biodiversitätsfonds hat sich als positive Maßnahme zur Finanzierung von Naturschutzprojekten erwiesen, jedoch bleibt die Dotierung – laut heutigem Wissensstand - unzureichend oder gar unsicher. Wir fordern eine Aufstockung auf 1 Milliarde Euro bis 2030, um die Biodiversitätskrise wirksam einzudämmen.“ Der Fonds hat von 2021 bis Ende 2024 rund 71,4 Millionen Euro zur Förderung unterschiedlicher Biodiversitätsprojekte ausbezahlt, darunter Naturschutz, Gewässerökologie, Biodiversitätsdokumentation, Monitoring und Renaturierung.
„Wir sehen die prekäre Schuldensituation Österreichs und verstehen die Notwendigkeit der Einsparungsmaßnahmen. Jedoch warnen wir die zukünftige Regierung eindringlich davor, den begonnenen Weg zur Wiederherstellung von Natur und Umwelt zu verlassen. Die Auswirkungen wären für uns Menschen unmittelbar und stärker spürbar als bisher, was uns alle mittelfristig viel teurer kommen würde,“ so Sturmbauer.
EU-Renaturierungsgesetz beschlossen: Jetzt konstruktive Zusammenarbeit gefordert
Die Zustimmung Österreichs zum EU-Renaturierungsgesetz im Juni 2024 stellt einen Meilenstein für den Naturschutz in Europa dar. Das Gesetz wird für die Erhaltung bestehender und Wiederherstellung ehemaliger Ökosysteme sorgen und damit die nötigen Lebensräume für die Artenvielfalt sichern. Die geplanten Maßnahmen werden sowohl auf den Klimaschutz einwirken als auch ein verbessertes Haushaltsmanagement des Wassers und eine erhöhte Nahrungssicherheit schaffen. Dennoch stellt Assoz.-Prof. Andreas Tribsch, Botaniker an der Universität Salzburg, fest: „Die konkrete Umsetzung internationaler Verordnungen in Österreich hatte bislang geringe politische Priorität. Der Streit rund um die Zustimmung Österreichs zum European Restoration Law - trotz breiter Befürwortung der Fachwelt und der Bevölkerung - hat dies deutlich gezeigt. Die politische Verantwortung ist es jetzt, in die Realisierung aller Vorgaben des Gesetzes sowie der Biodiversitätsstrategie zu kommen. Dazu benötigt es eine moderierte, konstruktive Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Expert:innen.“
Politische Verantwortung für Mensch als Teil der Natur
Das eigenständige Umweltministerium (BMK – Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie) – eine weitere Forderung des Biodiversitätsrates – wurde in der vergangenen Regierungsperiode realisiert, eine Stabstelle für Biodiversität darin geschaffen. „Damit hat Biodiversität auf der politischen Agenda den notwendigen Stellenwert erhalten,“ stellt Prof. in Alice Vadrot, Politikwissenschafterin an der Universität Wien, fest. „Die negative Bedeutung der Biodiversitätskrise war endlich in der Politik angekommen. Positiv zu bewerten ist auch , dass die österreichische Biodiversitätsstrategie in einem partizipativen Prozess ausgearbeitet wurde. Ebendiese sollten bei der Implementierung weiterer Vorgaben angewandt werden.“
Für einen gesamtgesellschaftlichen Wandel fehlen nach wie vor wesentliche strukturelle Reformen wie ein Bunderahmennaturschutzgesetz, die verbesserte Zusammenarbeit von Bund und Bundesländern und den unterschiedlichen Sektoren und eine stärkere Beteiligung von Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. „Die mittel- und langfristigen Folgen des Biodiversitätsverlustes müssen in der politischen Entscheidungsfindung sowohl aus ökologischer als auch aus ökonomischer, gesellschaftlicher und kultureller Sicht berechnet werden,“ so Vadrot. „Ohne Kalkulation dieser umfassenden Auswirkungen, wie bspw. auf Gesundheit und Ernährung der Menschen, bleibt Biodiversitätsschutz weiterhin ein Randthema der politischen Agenda.“ „Das System aus Artenvielfalt, deren Lebensräume und allen, wenn man so will, daraus „resultierenden Dienstleistungen der Natur für den Menschen“ kennt keine Landes- oder Verwaltungsgrenzen. Es bedarf daher gemeinsamer Betrachtung und Bearbeitung - über Ministerien und Gesetzestexte hinweg.“ Für das Jahr 2024 fehlt den Expert:innen des Rates nach wie vor die Einbeziehung von Biodiversität in die sozial-ökologische Steuerreform (3.3), ein Transparenzgesetz für die Folgen von Investitionen und Gesetzen auf die Biodiversität (3.4), und verpflichtende Umweltmaßnahmen bei neuen Bauvorhaben.
Bei Wissenschaft und Bildung kein grünes Licht am Horizont
Mit der raschen Verschärfung der Biodiversitätskrise ist auch der Bedarf nach qualifizierten Fachkräften in Forschung, Entwicklung und Praxis stark angewachsen. „Es gibt einen Mangel an gut ausgebildetem Lehrpersonal und eine unzureichende Verankerung der taxonomischen Forschung“, erklärt Prof.in Irmgard Greilhuber, Botanikerin und Pilzexpertin an der Universität Wien. Die Einschätzung der Expert:innen im Barometer (KF4) zeigt, dass das Problembewusstsein bezüglich der bestehenden
massiven Defizite in der Biodiversitätslehre und -bildung nach wie vor nicht vorhanden ist. Konstatiert wurden ein Mangel an gut ausgebildetem Lehrpersonal sowie Einschnitte im Lehramtsstudium (4.4). Gründe dafür sind Abgänge und Nicht-Nachbesetzungen sowie geänderte Schwerpunktsetzungen. Ohne Fachkräfte sind die Ausbildungen jedoch nicht zu bewerkstelligen. Greilhuber erklärt dazu: „Um die komplexen Vorgänge in der Natur zu verstehen, ist eine umfassende Bildung zur Biodiversität von klein auf unerlässlich. Nur mit dem nötigen Verständnis für diese Zusammenhänge sind Menschen bereit, sich für den Erhalt und die Verbesserung der Ökosysteme und damit ihrer Lebensgrundlagen einzusetzen und auch Kosten zu übernehmen. Daher ist die Biodiversitätsbildung auf allen Ebenen auszubauen.“
Ein vom Biodiversitätsrat seit 2019 gefordertes Biodiversitätsforschungsprogramm für Biodiversität, das die langjährige Forschungsarbeit für u.a. die Bereiche Monitoring, genetische Diversität sowie Datenmanagement abdeckt, wurde auch 2024 nicht geschaffen (4.1). Eine nationale Strategie der Forschung fehlt nach wie vor. Der nationale Biodiversitätsfonds konnte in den vergangenen Jahren aushelfen, steht nun aber auf der Kippe.
Mehr Natur benötigt das Land
Die Ampeln zur Landnutzung in Österreich leuchten auch 2024 wieder in Rot, nur ein Trend von 5 zeigt sich steigend. Kleinflächige Erweiterungen von Schutzgebieten konnten lediglich lokale Verbesserungen erzielen. Die internationalen Vorgabe von 10% streng geschützter Flächen macht in Österreich eine Verdreifachung der bestehenden Gebiete notwendig. Diese wurde nicht erfüllt. Schutzgebiete allein reichen auch nicht aus, um die Grundlagen für unsere Lebenssysteme zu liefern. „Die Landnutzung hat entscheidenden Einfluss auf die heimische Biodiversität“ erklärt Dr. Johannes Rüdisser, Ökologe an der Universität Innsbruck. „Daher sollten Schutzgebiete ausgeweitet und in ein flächendeckendes Netzwerk aus biodiversitätsfreundlich bewirtschafteten Landwirtschafts-, Wald- und Wasserflächen integriert werden. Diese „Grüne Infrastruktur“ muss strategisch geplant und in enger Zusammenarbeit mit Ländern, Gemeinden sowie allen relevanten Landnutzenden umgesetzt werden.“
Ein Umsteuern der Agrarpolitik zur naturverträglichen Landwirtschaft (5.1) mit Hilfe der freiwilligen Förderprogrammschiene ÖPUL (Agrarumweltprogramm) brachte eine geringfügige Verlangsamung des Artenverlusts, aber keine Trendwende ein. Für einen Stopp des Artenverlusts blieb der biodiversitätsfreundliche Anteil an der gesamten land- und forstwirtschaftlichen Nutzfläche jedoch zu klein. „In der Gemeinsamen Agrarpolitik der Europäischen Union (GAP) liegt viel mehr Potential, die Akzeptanz dafür ist – im Gegensatz zur forstwirtschaftlichen Nutzung des Waldfonds – im Sektor der Landwirtschaft scheinbar nicht gegeben,“ stellt Johannes Rüdisser dar. 27% Anteil biologisch bewirtschafteter Agrarfläche in Österreich wirkte sich nicht ausreichend biodiversitätserhaltend aus (Quelle: GAP).
Mit 2023 wurde die GAP-Förderung in Richtung Biodiversitätsfreundlichkeit verbessert. Das Naturwaldprogramm wurde durch das Trittsteinbiotope-Programm erweitert. Dadurch erhofft sich der Biodiversitätsrat für die nächsten Jahre entsprechende positive Auswirkungen. „Für den raschen Wandel zur biodiversitätsfreundlichen Landnutzung brauchen wir jedoch deutlich höhere Dotierungen der Finanzmittel, eine zügige Abstimmung zur Umsetzung des EU-Nature Restoration Laws und der Biodiversitätsstrategien, eine Erweiterung der Nationalparke und Schutzgebiete, die Konkretisierung der Ziele und Maßnahmen der Bodenstrategie und eine Abstimmung zu einem biodiversitätsfreundlichen Ausbau der Infrastruktur der Erneuerbaren Energiequellen,“ schließt Rüdisser.
Bilanzverluste weiterhin prognostiziert – Gegenmaßnahmen müssen ergriffen werden
Die Bilanz über die vergangenen fünf Jahre Biodiversitätspolitik in Österreich zeigt zwar einige zusätzliche Einnahmen, in Summe jedoch nach wie vor starke Verluste der Artenvielfalt. Ohne die Umsetzung der zahlreichen Vorschläge der Wissenschafter:innen sehen dieselben weitaus höhere finanzielle, gesundheitliche und soziale Verluste auf Österreich zukommen, da der steigende „Faktor Biodiversitätsverlust“ sich mit den oben genannten Folgewirkungen vervielfachten wird. Der Österreichische Biodiversitätsrat appelliert daher an die kommende Bundesregierung und alle politischen Akteur:innen, die Biodiversitätskrise ernst zu nehmen und entschlossene Maßnahmen zu ergreifen, um den Verlust der biologischen Vielfalt zu stoppen. „Nur durch eine gemeinsame Anstrengung können wir eine nachhaltige und lebenswerte Zukunft sichern“, so Christian Sturmbauer.
In Europa und weltweit sind die sich verschärfenden Folgen der Klima- und Biodiversitätskrise im Jahr 2024 in einem bislang ungekannten Ausmaß spür- und sichtbar geworden. Auch in Zukunft ist mit massiven negativen Folgen für die Gesellschaft zu rechnen. Im Regierungsprogramm der scheidenden Bundesregierung wurde die Notwendigkeit eines ambitionierten Biodiversitätsschutzes erkannt und mit zahlreichen Zielen im Regierungsprogramm verankert. Trotz vieler Bemühungen wurde zu wenig in die Umsetzung gebracht, um dem Biodiversitätsrückgang tatsächlich Einhalt zu gebieten. Der Österreichische Biodiversitätsrat fordert daher die Fortführung und Umsetzung der Vorhaben und sichert die Unterstützung der wissenschaftlichen Community zu.
Verbesserungen bei nur 3 von 23 Unterpunkten des Barometers
Das Barometer der Biodiversitätspolitik ist das Ergebnis von Expert:inneneinschätzungen des Österreichischen Biodiversitätsrates. Es basiert auf den 5 Kernforderungen zum Schutz der Biodiversität in Österreich, die der Rat im Jahr 2019 erarbeitet hat. Im Jahr 2024 zeichnete die Punkte „Nationaler Biodiversitätsfonds“ (1.1) sowie „EU-Abkommen (u.a. EU-Nature Restoration Law)“ (2.1) eine geringfügig positive Veränderungen im Trend aus. Nur die Ampel zu „Partizipativen Prozessen“ (3.6) sprang von Gelb auf Grün. Die Mehrheit von 20 Subforderungen des Rates konnte keine Verbesserungen, der Punkt „Biologie-Bildung in allen Ausbildungsstufen“ sogar einen Abwärtstrend verzeichnen.
Biodiversitätsfonds auf der Kippe?
Prof. Christian Sturmbauer, Zoologe an der Universität Graz, betont: „Der Biodiversitätsfonds hat sich als positive Maßnahme zur Finanzierung von Naturschutzprojekten erwiesen, jedoch bleibt die Dotierung – laut heutigem Wissensstand - unzureichend oder gar unsicher. Wir fordern eine Aufstockung auf 1 Milliarde Euro bis 2030, um die Biodiversitätskrise wirksam einzudämmen.“ Der Fonds hat von 2021 bis Ende 2024 rund 71,4 Millionen Euro zur Förderung unterschiedlicher Biodiversitätsprojekte ausbezahlt, darunter Naturschutz, Gewässerökologie, Biodiversitätsdokumentation, Monitoring und Renaturierung.
„Wir sehen die prekäre Schuldensituation Österreichs und verstehen die Notwendigkeit der Einsparungsmaßnahmen. Jedoch warnen wir die zukünftige Regierung eindringlich davor, den begonnenen Weg zur Wiederherstellung von Natur und Umwelt zu verlassen. Die Auswirkungen wären für uns Menschen unmittelbar und stärker spürbar als bisher, was uns alle mittelfristig viel teurer kommen würde,“ so Sturmbauer.
EU-Renaturierungsgesetz beschlossen: Jetzt konstruktive Zusammenarbeit gefordert
Die Zustimmung Österreichs zum EU-Renaturierungsgesetz im Juni 2024 stellt einen Meilenstein für den Naturschutz in Europa dar. Das Gesetz wird für die Erhaltung bestehender und Wiederherstellung ehemaliger Ökosysteme sorgen und damit die nötigen Lebensräume für die Artenvielfalt sichern. Die geplanten Maßnahmen werden sowohl auf den Klimaschutz einwirken als auch ein verbessertes Haushaltsmanagement des Wassers und eine erhöhte Nahrungssicherheit schaffen. Dennoch stellt Assoz.-Prof. Andreas Tribsch, Botaniker an der Universität Salzburg, fest: „Die konkrete Umsetzung internationaler Verordnungen in Österreich hatte bislang geringe politische Priorität. Der Streit rund um die Zustimmung Österreichs zum European Restoration Law - trotz breiter Befürwortung der Fachwelt und der Bevölkerung - hat dies deutlich gezeigt. Die politische Verantwortung ist es jetzt, in die Realisierung aller Vorgaben des Gesetzes sowie der Biodiversitätsstrategie zu kommen. Dazu benötigt es eine moderierte, konstruktive Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Expert:innen.“
Politische Verantwortung für Mensch als Teil der Natur
Das eigenständige Umweltministerium (BMK – Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie) – eine weitere Forderung des Biodiversitätsrates – wurde in der vergangenen Regierungsperiode realisiert, eine Stabstelle für Biodiversität darin geschaffen. „Damit hat Biodiversität auf der politischen Agenda den notwendigen Stellenwert erhalten,“ stellt Prof. in Alice Vadrot, Politikwissenschafterin an der Universität Wien, fest. „Die negative Bedeutung der Biodiversitätskrise war endlich in der Politik angekommen. Positiv zu bewerten ist auch , dass die österreichische Biodiversitätsstrategie in einem partizipativen Prozess ausgearbeitet wurde. Ebendiese sollten bei der Implementierung weiterer Vorgaben angewandt werden.“
Für einen gesamtgesellschaftlichen Wandel fehlen nach wie vor wesentliche strukturelle Reformen wie ein Bunderahmennaturschutzgesetz, die verbesserte Zusammenarbeit von Bund und Bundesländern und den unterschiedlichen Sektoren und eine stärkere Beteiligung von Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. „Die mittel- und langfristigen Folgen des Biodiversitätsverlustes müssen in der politischen Entscheidungsfindung sowohl aus ökologischer als auch aus ökonomischer, gesellschaftlicher und kultureller Sicht berechnet werden,“ so Vadrot. „Ohne Kalkulation dieser umfassenden Auswirkungen, wie bspw. auf Gesundheit und Ernährung der Menschen, bleibt Biodiversitätsschutz weiterhin ein Randthema der politischen Agenda.“ „Das System aus Artenvielfalt, deren Lebensräume und allen, wenn man so will, daraus „resultierenden Dienstleistungen der Natur für den Menschen“ kennt keine Landes- oder Verwaltungsgrenzen. Es bedarf daher gemeinsamer Betrachtung und Bearbeitung - über Ministerien und Gesetzestexte hinweg.“ Für das Jahr 2024 fehlt den Expert:innen des Rates nach wie vor die Einbeziehung von Biodiversität in die sozial-ökologische Steuerreform (3.3), ein Transparenzgesetz für die Folgen von Investitionen und Gesetzen auf die Biodiversität (3.4), und verpflichtende Umweltmaßnahmen bei neuen Bauvorhaben.
Bei Wissenschaft und Bildung kein grünes Licht am Horizont
Mit der raschen Verschärfung der Biodiversitätskrise ist auch der Bedarf nach qualifizierten Fachkräften in Forschung, Entwicklung und Praxis stark angewachsen. „Es gibt einen Mangel an gut ausgebildetem Lehrpersonal und eine unzureichende Verankerung der taxonomischen Forschung“, erklärt Prof.in Irmgard Greilhuber, Botanikerin und Pilzexpertin an der Universität Wien. Die Einschätzung der Expert:innen im Barometer (KF4) zeigt, dass das Problembewusstsein bezüglich der bestehenden
massiven Defizite in der Biodiversitätslehre und -bildung nach wie vor nicht vorhanden ist. Konstatiert wurden ein Mangel an gut ausgebildetem Lehrpersonal sowie Einschnitte im Lehramtsstudium (4.4). Gründe dafür sind Abgänge und Nicht-Nachbesetzungen sowie geänderte Schwerpunktsetzungen. Ohne Fachkräfte sind die Ausbildungen jedoch nicht zu bewerkstelligen. Greilhuber erklärt dazu: „Um die komplexen Vorgänge in der Natur zu verstehen, ist eine umfassende Bildung zur Biodiversität von klein auf unerlässlich. Nur mit dem nötigen Verständnis für diese Zusammenhänge sind Menschen bereit, sich für den Erhalt und die Verbesserung der Ökosysteme und damit ihrer Lebensgrundlagen einzusetzen und auch Kosten zu übernehmen. Daher ist die Biodiversitätsbildung auf allen Ebenen auszubauen.“
Ein vom Biodiversitätsrat seit 2019 gefordertes Biodiversitätsforschungsprogramm für Biodiversität, das die langjährige Forschungsarbeit für u.a. die Bereiche Monitoring, genetische Diversität sowie Datenmanagement abdeckt, wurde auch 2024 nicht geschaffen (4.1). Eine nationale Strategie der Forschung fehlt nach wie vor. Der nationale Biodiversitätsfonds konnte in den vergangenen Jahren aushelfen, steht nun aber auf der Kippe.
Mehr Natur benötigt das Land
Die Ampeln zur Landnutzung in Österreich leuchten auch 2024 wieder in Rot, nur ein Trend von 5 zeigt sich steigend. Kleinflächige Erweiterungen von Schutzgebieten konnten lediglich lokale Verbesserungen erzielen. Die internationalen Vorgabe von 10% streng geschützter Flächen macht in Österreich eine Verdreifachung der bestehenden Gebiete notwendig. Diese wurde nicht erfüllt. Schutzgebiete allein reichen auch nicht aus, um die Grundlagen für unsere Lebenssysteme zu liefern. „Die Landnutzung hat entscheidenden Einfluss auf die heimische Biodiversität“ erklärt Dr. Johannes Rüdisser, Ökologe an der Universität Innsbruck. „Daher sollten Schutzgebiete ausgeweitet und in ein flächendeckendes Netzwerk aus biodiversitätsfreundlich bewirtschafteten Landwirtschafts-, Wald- und Wasserflächen integriert werden. Diese „Grüne Infrastruktur“ muss strategisch geplant und in enger Zusammenarbeit mit Ländern, Gemeinden sowie allen relevanten Landnutzenden umgesetzt werden.“
Ein Umsteuern der Agrarpolitik zur naturverträglichen Landwirtschaft (5.1) mit Hilfe der freiwilligen Förderprogrammschiene ÖPUL (Agrarumweltprogramm) brachte eine geringfügige Verlangsamung des Artenverlusts, aber keine Trendwende ein. Für einen Stopp des Artenverlusts blieb der biodiversitätsfreundliche Anteil an der gesamten land- und forstwirtschaftlichen Nutzfläche jedoch zu klein. „In der Gemeinsamen Agrarpolitik der Europäischen Union (GAP) liegt viel mehr Potential, die Akzeptanz dafür ist – im Gegensatz zur forstwirtschaftlichen Nutzung des Waldfonds – im Sektor der Landwirtschaft scheinbar nicht gegeben,“ stellt Johannes Rüdisser dar. 27% Anteil biologisch bewirtschafteter Agrarfläche in Österreich wirkte sich nicht ausreichend biodiversitätserhaltend aus (Quelle: GAP).
Mit 2023 wurde die GAP-Förderung in Richtung Biodiversitätsfreundlichkeit verbessert. Das Naturwaldprogramm wurde durch das Trittsteinbiotope-Programm erweitert. Dadurch erhofft sich der Biodiversitätsrat für die nächsten Jahre entsprechende positive Auswirkungen. „Für den raschen Wandel zur biodiversitätsfreundlichen Landnutzung brauchen wir jedoch deutlich höhere Dotierungen der Finanzmittel, eine zügige Abstimmung zur Umsetzung des EU-Nature Restoration Laws und der Biodiversitätsstrategien, eine Erweiterung der Nationalparke und Schutzgebiete, die Konkretisierung der Ziele und Maßnahmen der Bodenstrategie und eine Abstimmung zu einem biodiversitätsfreundlichen Ausbau der Infrastruktur der Erneuerbaren Energiequellen,“ schließt Rüdisser.
Bilanzverluste weiterhin prognostiziert – Gegenmaßnahmen müssen ergriffen werden
Die Bilanz über die vergangenen fünf Jahre Biodiversitätspolitik in Österreich zeigt zwar einige zusätzliche Einnahmen, in Summe jedoch nach wie vor starke Verluste der Artenvielfalt. Ohne die Umsetzung der zahlreichen Vorschläge der Wissenschafter:innen sehen dieselben weitaus höhere finanzielle, gesundheitliche und soziale Verluste auf Österreich zukommen, da der steigende „Faktor Biodiversitätsverlust“ sich mit den oben genannten Folgewirkungen vervielfachten wird. Der Österreichische Biodiversitätsrat appelliert daher an die kommende Bundesregierung und alle politischen Akteur:innen, die Biodiversitätskrise ernst zu nehmen und entschlossene Maßnahmen zu ergreifen, um den Verlust der biologischen Vielfalt zu stoppen. „Nur durch eine gemeinsame Anstrengung können wir eine nachhaltige und lebenswerte Zukunft sichern“, so Christian Sturmbauer.