© enriquelopezgarre auf Pixabay
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TU Berlin: Kernenergie keine Technologie zur Lösung der Klimakrise

Zu teuer, zu langsam, zu gefährlich, zu blockierend - internationales Team von Fachwissenschaftler*innen der Scientists for Future (S4F) veröffentlichten Studie zu Kernenergie / Forscher*innen der TU Berlin beteiligt

Zur Lösung der Klimakrise könne die Kernenergie nicht beitragen, da sie zu langsam ausbaufähig, zu teuer und zu risikoreich ist. Zudem behindere sie strukturell den Ausbau der Erneuerbaren Energien, die gegenüber der Kernkraft schneller verfügbar, kostengünstiger und ungefährlich sind. Das zeigt ein internationales Team von Fachwissenschaftler*innen der Scientists for Future (S4F) in einem veröffentlichten Text auf.

Am 27. Oktober 2021 hatten Scientists for Future eine Studie zu Kernenergie und Klima herausgegeben. Vier Forscher der TU Berlin waren daran im Kernteam beteiligt: Dr. Wealer, Experte in Atompolitik, Prof. Dr. Christian von Hirschhausen, Experte in Infrastrukturpolitik und Energieversorgung, Fabian Präger und Björn Steigerwald, wissenschaftliche Mitarbeiter. Die Arbeitsgruppe AT-OM an der Fakultät VII Wirtschaft und Management ist eine der wenigen deutschlandweit, die sich – in Zusammenarbeit mit dem DIW Berlin – mit den sozio-technischen Aspekten der Kernenergie beschäftigt.

Da die Kernenergie bei der Stromerzeugung kaum direkte Emissionen des Treibhausgases Kohlendioxid (CO2) erzeugt, wird sie von ihren Befürwortern als Technologie im Kampf gegen die Klimakrise angeführt. In Europa ist insbesondere Frankreich Wortführer für die Kernenergie, vor allem im Zuge der EU-Taxonomieverhandlungen, in denen festgelegt wird, welche Maßnahmen den Mitgliedsnationen in welcher Höhe angerechnet werden, um die EU-weit beschlossene Reduktion der Treibhausgasemissionen zu erreichen.

Die Scientists for Future zeigen auf, dass die Untersuchungen, mit denen die Kernenergie als Technologie zur Emissionsminderung dargestellt wird, systematische Mängel aufweisen.

Bekannt ist die potentielle Gefährlichkeit von Kernkraft. Solche Unfälle seien extrem selten, lautet die Annahme. Dagegen spricht die Statistik. Ben Wealer, Leitautor der Studie und S4F-Mitglied, führt aus: „In jeder Dekade seit den 1970er Jahren gab es schwere Unfälle und eine Vielzahl kleinerer Zwischenfälle. Kernkraft ist derart risikobehaftet, dass Kernkraftwerke nirgendwo versichert werden können.“ Die Schäden bei einem Großunfall sind so hoch, dass die erforderlichen Versicherungsbeiträge faktisch unbezahlbar sind. Tatsächlich wurden die Katastrophen von Fukushima, Tschernobyl oder Three Mile Island einfach der Gesellschaft aufgebürdet.

Kernkraft widerspreche zudem allen Wirtschaftlichkeitsberechnungen. „Unsere Zusammenschau der relevanten Studien zur Kernenergie als Mittel zur Minderung von Treibhausgasemissionen hat gezeigt, dass Stromerzeugung aus Kernenergie vor allem außergewöhnlich teuer ist“, erklärt Christian Breyer, Co-Autor der Studie und ebenfalls S4F-Mitglied. „Kernenergie war wirtschaftlich nie konkurrenzfähig und hat im Energiemarkt von Anfang an nur durch massive staatliche Finanzierung überlebt. Schon heute ist die Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien kostengünstiger als durch fossile und nukleare Technologien.“

Hinzu kommt, dass Eile gefordert ist. Vierzig Jahre nach den ersten Warnungen vor einem menschgemachten globalen Klimawandel sind die damaligen Szenarien heute bedrohliche Realität. S4F-Mitglied Claudia Kemfert, ebenfalls Co-Autorin, stellt fest: „Um dramatische Kipp-Punkte im Erdsystem zu vermeiden, müssen wir bis 2030 klimaneutral werden, sagt uns die Physik des Systems Erde. Der notwendige, schnelle Umbau des Energiesystems geht in der erforderlichen Geschwindigkeit nur mit Erneuerbarer Energie.“ Angesichts der Planungs- und Bauzeiten von zwei Jahrzehnten sowie absehbar geringen technischen Innovationen könne Kernkraft in den für die Bekämpfung der Klimakrise relevanten Zeiträumen von zwei bis maximal drei Jahrzehnten keine Rolle spielen. Die jüngst von Frankreich in die Diskussion gebrachte neue Generation von Atomkraftwerken (Small Modular Reactors) sei ebenfalls keine Option, da diese Technologie noch Jahrzehnte von einem möglichen kommerziellen Einsatz entfernt ist.

Die größte Herausforderung beim Aufbau einer zukunftsfähigen Energieversorgung liege in der Überwindung der Widerstände des heutigen, von fossilen Kraftwerken dominierten Energiesystems. Kernenergie sei nicht geeignet, diesen Transformationsprozess zu unterstützen, sondern blockiere diesen sogar: Das Übergewicht an Ausgaben für die Kernenergie engt die Entwicklung nachhaltiger Klimaschutztechnologien wie Erneuerbare, Speicher und Energieeffizienz ein. Die Menschheit und das Leben auf der Erde im Allgemeinen werden noch über Millionen Jahre von radioaktiven Rückstanden betroffen sein, die innerhalb weniger Dekaden erzeugt wurden. Diese außerhalb menschlicher Maßstäbe liegende Unverhältnismäßigkeit hat unter dem Begriff „Ewigkeitskosten“ Einzug in die Debatte über die Energiewende gefunden.

Im Fazit halten die Scientists for Future fest: Kernenergie sei keine Option für den Umbau des Energiesystems in Richtung Nachhaltigkeit. In den nächsten zehn Jahren würde ein Beibehalten der Kernkraft durch Weiterbetrieb oder Verlängerung der Laufzeiten nicht zu einer wesentlichen Reduktion der Treibhausgasemissionen führen. Weder ein Ausbau mit existierender Kerntechnik noch die Einführung einer nächsten Generation von Kernkraftwerken stelle eine Lösung dar.

Der vollständige Text der Studie „Kernkraft und Klima“ findet sich hier: doi.org/10.5281/zenodo.5573719

Stefanie Terp


Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /