© ÖHV/ Dr. Doris Höpke, Vorstandsmitglied von Munich Re; Dr. Kurt Weinberger, Vorstandsvorsitzender der Österreichischen Hagelversicherung und BOKU-Uniratsvorsitzender; Univ.Prof. Dr. Helga Kromp-Kolb, Klimaforscherin u. Meteorologin
© ÖHV/ Dr. Doris Höpke, Vorstandsmitglied von Munich Re; Dr. Kurt Weinberger, Vorstandsvorsitzender der Österreichischen Hagelversicherung und BOKU-Uniratsvorsitzender; Univ.Prof. Dr. Helga Kromp-Kolb, Klimaforscherin u. Meteorologin

Klimakrise - Ist es nicht schon zu spät?

Einhelliger Tenor der (Rück-)Versicherungswirtschaft und Wissenschaft: "Der Klimawandel ist eine größere Gefahr als die Pandemie!"

"Faktum ist: der Klimawandel, also die Erderwärmung, ist längst auch in Österreich angekommen. Zwei Zahlen dazu: Während wir in den 70er, 80er Jahren noch ca. 10 Hitzetage, also Tage mit mehr als 30 °C hatten, sind es jetzt knapp 30 Hitzetage, also das Dreifache. Spürbar ist die Erderwärmung aber auch an den zunehmenden Wetterextremen, die die Landwirtschaft mit der Werkstatt unter freiem Himmel unmittelbar treffen. Alleine im heurigen Jahr 220 Millionen Euro, in den letzten fünf Jahren eine Milliarde Gesamtschaden in der Landwirtschaft! Um diese Dimension geht es. Wir haben in Österreich aber im internationalen Vergleich ein breites Private-Public-Partnership System mit der umfassendsten Produktpalette und modernsten Schadenserhebung Europas. So ist aus der Zusammenarbeit zwischen öffentlicher Hand, Versicherungswirtschaft und Landwirtschaft das zunehmende Wetterrisiko bislang kalkulierbar. Es beruht aber auch auf einem breiten Netz an Rückversicherung, um so schwankende, große Schadensereignisse versicherbar zu machen. Unerlässlich ist aber auch die Wissenschaft, die mit ihren Klimaprognosen die Grundlagen für versicherungstechnische Kalkulationen schafft", so der Vorstandsvorsitzende der Österreichischen Hagelversicherung, Dr. Kurt Weinberger, in seinen einleitenden Worten zur Pressekonferenz. Er begrüßte Dr. Doris Höpke, Vorstandsmitglied von Munich Re, einem zentralen Partner angesichts der zunehmenden Wetterextreme, sowie die "Wissenschaftlerin des Jahres 2005" Univ.Prof. Dr. Helga Kromp-Kolb, Klimaforscherin und Meteorologin an der Universität für Bodenkultur Wien, der Nachhaltigkeitsuniversität.

Klima- und Bodenschutz unerlässlich, alles andere wäre grob fahrlässig

Da der Klimawandel vor Landesgrenzen nicht Halt macht, ist ein internationaler Schulterschluss auch im globalen Kampf gegen die Klimakrise unverzichtbar. Durch eine kollektive Intelligenz konnte die Pandemie durch Impfung stabilisiert werden. So muss es wohl auch gelingen, unseren Planeten vor dem Klimawandel zu retten. Dazu ist die Erfüllung der völkerrechtlichen Verpflichtung, wie der Vertrag von Paris, eine Grundvoraussetzung. Aber auch national sind Anstrengungen für mehr Klimaschutz dringend erforderlich. Das Hauptproblem des mangelnden Klimaschutzes in Österreich kommt aus den CO2-Emissionen des Verkehrs. So sind im Zeitraum 1990 bis 2020 die CO2-Emissionen beim Verkehr um 49,4 Prozent gestiegen.

Es macht keinen Sinn, das Verkehrsproblem durch neue Straßen zu lösen. Das ist Symptom- und keine Ursachenbekämpfung. Die Ursachen liegen unter anderem darin, dass heute Lebensmittel zu Weltreisenden geworden sind. So werden Erdäpfel beispielsweise aus Holland zum Schälen nach Marokko und retour gekarrt. Ein weiteres Beispiel: Jeder pendelt alleine im Auto, das ist auch nicht sehr klug. Fahrgemeinschaften zu fördern wäre so eine Ursachenbekämpfung. Ein weiteres Thema ist der Flugverkehr: Wenn heute ein Flug von Wien nach Bukarest um 9 Euro angeboten wird, stimmt etwas im System nicht. Schlussfolgerung: Jeder Einzelne muss sein Mobilitäts- und Konsumverhalten hinterfragen. Dazu gehört auch ein weiterer Ausbau des öffentlichen Verkehrs, wo in vorausschauender Weise durch die österreichische Regierung sehr viel investiert wird - 48 Milliarden Euro in den nächsten 10 Jahren. Der einzige Sektor, der auf Klima- und Kyotokurs liegt, ist die Landwirtschaft. Im Zeitraum 1990 bis 2020 konnten die CO2-Emissionen um 14,3 Prozent reduziert werden.

Nun komme ich noch zu einem zweiten hausgemachten Klimaschutzproblem, dem Bodenverbrauch: In den letzten 25 Jahren wurden 150.000 Hektar Äcker und Wiesen durch Verbauung aus der Produktion genommen. Das entspricht der gesamten Agrarfläche des Burgenlands. Mit immer mehr verbauter Fläche gefährden wir aber weiter die Lebensmittelversorgungssicherheit Österreichs. Zudem nehmen die Schäden durch Überschwemmung und Dürre mangels Wasser- und CO2-Speicher zu. Der Bodenschutz braucht ein Maßnahmenbündel, zum Beispiel durch eine Revitalisierungsoffensive der mehr als 40.000 Hektar leerstehenden Immobilien, ehe weitere beste Äcker und Wiesen verbaut werden. Oder es gehört die Kommunalsteuer auf Bundesebene organisiert und im Wege des Finanzausgleichs nach Umweltkriterien an die Gemeinden verteilt. Zusammenfassend: Man muss auch die Angst nehmen, dass Klima- und Bodenschutz Arbeitsplätze kosten, im Gegenteil: Sie bieten die Chance zu einer nachhaltigen regionalen Wirtschaft, die Arbeitsplätze schafft bzw. sichert und auch die Umwelt zum Wohle unserer zukünftigen Generationen schont!

Jeder Schritt gegen die Erwärmung zählt - wir müssen aber jetzt beginnen

Die jüngsten Naturkatastrophen zeigen mit aller Wucht eindeutig die Zusammenhänge: Die Klimaerwärmung steigert das Risiko von mehr und intensiveren Wetterereignissen. Je stärker die Erwärmung, desto größer die Gefahr hoher Schäden. Es zählt daher jeder Schritt, um die Erwärmung zu begrenzen. Die politischen Grundlagenentscheidungen, insbesondere das Pariser Klimaabkommen, gehen hier grundsätzlich und schrittweise in die richtige Richtung. Was jedoch fehlt, ist eine schnellere und konsequentere Umsetzung. Wir müssen vom Gehen ins Laufen kommen. Naturkatastrophen, wie sie heuer in Europa konzentriert aufgetreten sind, werden ansonsten im Trend weiter ansteigen.

Wir müssen endlich entschlossen handeln, damit das Klimarisiko nicht systemisch wird. Ohne Mut und Freiraum für kreative Lösungen wird es aber nicht möglich sein, die Klimaziele zu erreichen. Neue Technologien müssen besser gefördert und der Marktzugang erleichtert werden. Es braucht ein vorausschauendes Risikomanagement statt wiederkehrender, staatlicher Adhoc-Hilfen im Katastrophenfall. Die Privatwirtschaft allein kann systemische Risiken auch nicht tragen, man denke nur an die Höhe der durch Covid19 und die sich anschließenden Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie ausgelösten Schäden. Es braucht auch eine Zusammenarbeit mit der Wissenschaft, um Risiken in Zukunft abschätzen zu können. Daher gilt es, die Stärken zu bündeln. In dieser Hinsicht ist Österreich bereits weit fortgeschritten: Die Hagelversicherung bietet eine umfassende Produktpalette, kombiniert mit moderner und rascher Schadenserhebung. Dieses vorausschauende Modell der Risikovorsorge ist im europäischen Umfeld beispielhaft. Ebenso wichtig wie strukturierte Lösungen im Schadensfall ist jedoch die Prävention. Vor allem die voranschreitende Flächenversiegelung ist problematisch und braucht ein Umdenken in der öffentlich-rechtlichen Handhabung des Flächenverbrauchs.

Katastrophe vermeiden und Chance nutzen

Ich kann nachvollziehen, dass Menschen gegenüber Vorhersagen und Modellberechnungen skeptisch sind - unser Verständnis der Welt ist und bleibt unvollständig. Aber gerade im Klimabereich haben sich Szenarien zukünftiger Entwicklung als extrem verlässlich erwiesen: Seit dem ersten Klimasachstandsbericht des IPCC 1990 stimmen die realen Entwicklungen mit den aufgrund wissenschaftlicher Berechnungen erwarteten erstaunlich gut überein. Es waren keine wesentlichen Korrekturen nötig; die Information wurde lediglich detailreicher und sicherer. Die reale Entwicklung hat sich allerdings immer am oberen Rand des Erwarteten bewegt, das heißt Veränderungen sind schneller gekommen oder extremer ausgefallen als erwartet. Die Extremereignisse der letzten Monate waren aus wissenschaftlicher Sicht daher keineswegs überraschend. Sie haben nur auf dramatische Weise veranschaulicht, was in den Berichten steht. Unter diesen Umständen ist es nicht verantwortbar, die Klimaentwicklung zu ignorieren.

Zivilisationen kommen und gehen - nicht zuletzt wegen klimatischer Veränderungen. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass unsere eine Ausnahme sein wird. Klimaänderungen können aber auch Auslöser neuer zivilisatorischer Blütezeiten sein! Gerade weil die Klimakatastrophe selbstgemacht ist, muss rasch und mutig gehandelt werden. Rückgängig machen können wir das Geschehene nicht - jedenfalls nicht kurzfristig. Aber bei einem Klima stabilisieren, das für den Großteil der Menschen noch erträglich ist, an das wir uns als Zivilisation anpassen können, liegt noch in unserer Macht. Dazu müssen wir aber schlechte Gewohnheiten ablegen, insbesondere die Verschwendung von Ressourcen, wie Energie, Fläche und Boden. Nicht alles, was bequem oder als erstrebenswert dargestellt wird, ist weiterhin leistbar.

Es ist Aufgabe der Politik, uns diesen Umstieg zu erleichtern. Das gelingt durch konkrete Maßnahmen, die klimafreundliches Handeln attraktiver machen als klimaschädliches. Der weitere Ausbau erneuerbarer Energieträger und eine rasche Umsetzung einer ökosozialen Steuerreform gehören dazu, aber auch vieles andere; das meiste ist auch der Gesundheit, der Lebensqualität und auch der Wirtschaft zuträglich. Klimaschutz kostet Geld, aber kein Klimaschutz kommt noch viel teurer - in Form von Klimaschäden und Strafzahlungen für verfehlte Klimaziele, und in Form der verpassten Chance auf ein besseres Leben. Klimaschutz lohnt sich also - im wahrsten Sinn des Wortes!

Eine historische Chance gilt es zu nutzen!

Klimaschutz nimmt mit jeder neuen Naturkatastrophe an Fahrt auf. Aber zukunftsweisende Klimapolitik wartet nicht auf Katastrophen, sondern trifft proaktiv und mutig längst anstehende Entscheidungen. "Wer jetzt in der Politik ist, hat eine historische Verantwortung für künftige Generationen. Wenn wir jetzt nicht handeln, werden uns die Enkelkinder einmal fragen: ‚Warum habt ihr uns die Erde in so einem Zustand hinterlassen?", schließen Höpke,


Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /