©  Stan Petersen auf Pixabay / Radfahren
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Verkehrswende trotz Pandemie?

Team der Frankfurt UAS veröffentlicht Studie zu Mobilität und Logistik während und nach der Corona-Krise/ Fahrräder und Online-Handel als Gewinner

Wie wirkt sich die Corona-Krise auf unser Mobilitätsverhalten aus? Und welchen Einfluss hat die Pandemie auf die angestrebte Verkehrswende? – Mit diesen Fragen hat sich ein Team der Frankfurt University of Applied Sciences (Frankfurt UAS) beschäftigt und untersucht, welche möglichen Auswirkungen die Pandemie auf die aktuelle und zukünftige Mobilität und Logistik hat. Wissenschaftler/-innen der Forschungsgruppe Research Lab for Urban Transport (ReLUT) haben dafür bereits existierende Daten, eine repräsentative Umfrage sowie die Meinungen von 19 Expertinnen und Experten aus den Bereichen Wissenschaft, Verkehrswesen und Logistik ausgewertet. Das Forschungsteam unterscheidet zwischen kurzfristig zu beobachtenden Auswirkungen während der Corona-Krise, speziell während des Lockdowns, und den mittel- und langfristig zu erwartenden Auswirkungen „nach Corona“.

Eine repräsentative Befragung von rund 2.000 Erwachsenen, die das ReLUT-Team vom 17. bis zum 21. August bundesweit durchführte, bestätigt ein insgesamt geringeres Mobilitätsniveau während der Corona-Krise. Während die Nutzung von Pkw und dem öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) abnahm, auch wegen Veränderungen in der Arbeitswelt und der Sorge um eine Infektion, wurde das Fahrrad als Verkehrsmittel häufiger genutzt als im Vergleich zum Vorjahr. Im Jahr 2019 war das Fahrrad für 8,8 Prozent der Befragten in Deutschland das hauptsächlich genutzte Verkehrsmittel für den Weg zur Arbeit, aktuell liegt der Wert bei 9,3 Prozent. In Hessen stieg der Wert von 5,2 Prozent auf 6,5 Prozent. Knapp ein Zehntel der Befragten deutschlandweit und 7,8 Prozent in Hessen wollen das Fahrrad auch künftig für den Weg zur Arbeit nutzen. Ähnliches gilt für die Wege zu Einkäufen und Besorgungen, zu Freizeitaktivitäten sowie zu Freunden, Bekannten und Familie. Im Vergleich zum Bundesdurchschnitt weist Hessen bei diesen Werten den stärksten Anstieg zum Jahr 2019 auf. Vor der Corona-Krise lag Hessen noch unter dem bundesweiten Durchschnitt. „Seit 2019 sind verstärkt Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in städtischen Wohngebieten auf das Fahrrad umgestiegen. Es bleibt abzuwarten, ob sich dieser Trend auch in der kalten Jahreszeit so fortsetzt“, sagt Prof. Dr. Tobias Hagen, Direktor des ReLUT sowie Professor für Volkswirtschaftslehre und Quantitative Methoden am Fachbereich Wirtschaft und Recht der Frankfurt UAS. Einen Trend erkannten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auch beim Einkaufsverhalten der Befragten. Sowohl in den Bereichen Bekleidung und Schuhe als auch bei Unterhaltungs- und Freizeitartikeln hat der Online-Handel gegenüber dem stationären Handel deutlich zugelegt. Hagen und sein Team vermuten, dass die Umsatzanteile zu einem großen Teil nicht wiederkehren werden. Wenig betroffen von der Entwicklung zum Online-Handel sind dagegen die Bereiche Lebensmittel und Hygieneartikel.

Die Arbeitswelt und der Bildungssektor haben einen großen Einfluss auf das Mobilitätsverhalten der Menschen; das wurde durch die Corona-Pandemie mehr als deutlich. Durch Home-Office, Kurzarbeit, Fernunterricht an Schulen und Hochschulen und den Verzicht auf Dienstreisen waren mehr Aufenthalte am Wohnort und weniger Aufenthalte am Arbeitsort sowie weniger Pkw-Verkehr auf den Autobahnen zu verzeichnen. Auch die Nutzung des ÖPNV ist durch diese Faktoren deutlich zurückgegangen. In ganz Deutschland nahm die Nutzung im Vergleich zum Zeitpunkt vor der Corona-Krise um 10 Prozent ab, in Hessen ist der Rückgang mit 20 Prozent noch stärker. „Zum Teil erklärt das auch die andauernde Krise in Teilen des stationären Einzelhandels, da Erledigungen am Rande der Arbeitszeit wegfallen“, sagt Hagen. Seit Mai nähere sich der Fußverkehr auf den Einkaufsstraßen Hessens zwar teilweise dem Vorkrisenniveau an, der durch den Lockdown bedingte Umsatzeinbruch könne dadurch aber nicht kompensiert werden. Auch die Angst vor Infektionen sowie die geltenden Abstands- und Hygieneregeln wirken dämpfend auf das Einkaufsverhalten. „Sollte der Trend zum Online-Shopping sowie zum Home-Office tatsächlich mittel- bis langfristig anhalten, ist zukünftig mit einem Rückgang des Einkaufsverkehrs in Großstädten und einer Verlagerung an die Orte, an denen die Menschen leben, in Form von Lieferverkehr, zu rechnen“, so Hagen.

Zusätzlich zur Umfrage und der Auswertung vorhandener Daten interviewten Hagen und sein Team von ReLUT 19 Expertinnen und Experten aus den Bereichen Wissenschaft, Verkehrswesen und Logistik zu den Auswirkungen der Pandemie auf ihr Fachgebiet. Die meisten der Befragten sind der Meinung, dass sich das Kfz-Verkehrsaufkommen nach Corona wieder erhöhen werde und die Verkehrsbetriebe mit einer langfristig geringeren ÖPNV-Nachfrage rechnen müsse. „Die Gespräche zeigen, dass, wie schon vor der Corona-Krise, Handlungsbedarf seitens der Politik besteht, um die Verkehrswende zu erreichen“, sagt Hagen. Als Maßnahmen sieht das Team der Forschenden einen attraktiver gestalteten ÖPNV, der den Nutzerinnen und Nutzern zudem ein Sicherheitsgefühl in Zeiten der Pandemie vermitteln muss, der Ausbau von Rad- und Fußverkehrsanlagen sowie im Logistik-Bereich die Förderung emissionsarmer Lieferprozesse.

Hintergrund der Studie:
In den vergangenen Jahren führte die Politik vermehrt Maßnahmen durch, um die Emissionen von CO2 und Feinstaub zu reduzieren. Mit der angestrebten Verkehrswende sollen emissionsarme Verkehrsmittel, wie das Fahrrad oder der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV), gegenüber dem Pkw bevorzugt werden. Durch den Ausbau der Radverkehrsinfrastruktur und von attraktiven Angeboten im öffentlichen Personennahverkehr konnte bereits ein Umdenken und ein umweltfreundlicheres Mobilitätsverhalten bei vielen Verkehrsteilnehmenden erreicht werden. Durch die Corona-Pandemie hat sich das Mobilitätsverhalten jedoch signifikant geändert. Umfragen und Verkehrszahlen zeigen, dass viele Menschen den ÖPNV nicht mehr nutzen und der Pkw wieder an Beliebtheit gewinnt.

Research Lab for Urban Transport (ReLUT)
Im Research Lab for Urban Transport (ReLUT) der Frankfurt UAS forscht ein interdisziplinäres Team aus Wissenschaft und Praxis zu aktuellen und zukünftigen Herausforderungen des Verkehrs im städtischen Raum.

Die vollständige Studie finden Sie hier

Nicole Nadine Seliger


Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /