© Gerd Altmann pixabay.com
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Umwelt-NGOs fordern Krisengipfel zu Umwelt und Demokratie mit Bundesministerin Köstinger

Dramatisch: Aushöhlung der Umweltstandards und Rechte der Zivilgesellschaft durch die Bundesregierung genau 40 Jahre nach wegweisender Atomkraft-Entscheidung von Zwentendorf - Großprojekte dürfen nicht auf Kosten von Mensch und Natur gehen

Wien - In einem Schreiben an Umweltministerin Elisabeth Köstinger fordert der WWF Österreich in Abstimmung mit weiteren anerkannten Umweltorganisationen einen raschen Krisengipfel zu Umwelt und Demokratie in Österreich. Mehrere Umweltschutzorganisationen, darunter GLOBAL 2000, beobachten mit großer Besorgnis mehrere Vorstöße der Regierungsparteien und der Bundesregierung in den letzten Monaten, mit denen versucht wird, die Rechte der Zivilgesellschaft und die Möglichkeiten für Umweltorganisationen zur konstruktiven Mitarbeit an einer zukunftsfähigen Umwelt- und Energiepolitik massiv einzuschränken, beispielsweise die Gesetzesvorhaben zum Standort-Entwicklungsgesetz sowie zum UVP-Gesetz, dabei vor allem der von den Umweltsprechern eingebrachte Abänderungsantrag vom 4. Oktober. Die Abänderung der Bundesverfassung aus Anlass der Kausa „Dritte Piste“ wäre eine eindeutige Anlassgesetzgebung am Herzen der Österreichischen Bundesverfassung.

„Die Summe der geplanten Maßnahmen lassen alle Alarmglocken schrillen. Um die drohenden Gefahren für Umwelt und Demokratie in Österreich abzuwenden, haben wir am vergangenen Freitag Bundesministerin Köstinger dringend um einen gemeinsamen Krisengipfel mit den ebenfalls anerkannten Umweltorganisationen WWF und Greenpeace ersucht“, erklärt Leonore Gewessler, Geschäftsführerin von GLOBAL 2000, es gab jedoch eine Absage für einen Krisengipfel aus dem Ministerium.

„Als verantwortliche Umweltministerin hat Elisabeth Köstinger es in der Hand, eine konstruktive Lösung zu finden, für die Summe der von der Bundesregierung eingebrachten umweltschutz-feindlichen Vorhaben“, so Gewessler. „Wir fordern sie nochmals nachdrücklich auf, ein Machtwort zu sprechen und die Umweltpolitik Österreichs zur Chefinnen-Sache zu machen. Sie kann sich nicht mit Verweis auf die UmweltsprecherInnen der Parlamentsparteien aus der Verantwortung als Ministerin nehmen.“

Rechtsunsicherheit bei Beschluss von verpfuschten Gesetzesentwürfen droht

Unter dem Vorwand der Verfahrensbeschleunigung von Umweltverträglichkeitsprüfungs-Verfahren sollen in den vorgelegten Gesetzesentwürfen Regelungen geändert oder eingeführt werden, die, wie mehrere anerkannte RechtsexpertInnen meinen, ganz offenkundig verfassungs- oder europarechtswidrig wären oder dem internationalen Recht widersprechen würden: Der im Rahmen des Standort-Entwicklungsgesetzes vorgelegte Automatismus einer Genehmigung von UVP-pflichtigen Projekten wäre offenkundig rechtswidrig. Verfahren würden nach einer Reparatur dieses illegalen Rechtsrahmens neu geführt werden müssen, was genau das Gegenteil der intendierten Wirkung einer Verfahrensbeschleunigung zum Resultat hätte. Gleichfalls ist der Aspekt der Offenlegung der Namen und Adressen der Mitglieder von zivilgesellschaftlichen Organisationen, wie im Abänderungsantrag des UVP-G vorgesehen, offenkundig in Widerspruch zur Datenschutzgrundverordnung. Auch die als Rechtfertigung vorgebrachte Anlehnung an das schwedische Modell hält einer Überprüfung nicht stand. Der von den Umweltsprechern der Regierungsparteien im Parlament eingebrachte Vorschlag ignoriert wesentliche Teile des Modells und intendiert offenbar nur die Einschränkung der NGO-Verfahrensrechte. Daher ist ein in diesem Sinne geändertes UVP-Gesetz wiederum eine unsichere Rechtsbasis für Verfahren, die in Folge – nach der rechtskonformen Rückänderung des Gesetzes – neu aufgerollt werden müssten.

„Unserer Meinung nach gibt es wesentlich geeignetere Maßnahmen zur Beschleunigung von Verfahren wie z. B. die Ausstattung der zuständigen Behörden und Gerichte mit adäquaten Ressourcen und die bessere Vorbereitung der Einreich-Unterlagen“, sagt Gewessler. „Wir bringen uns gerne konstruktiv in Gespräche zur Verbesserung von Verfahren ein - verstehen aber das Misstrauen und die Ausschluss-Wünsche von Teilen der Politik überhaupt nicht.“

Der im geplanten „Staatsziel Wirtschaftsstandort“ angenommene Gegensatz zwischen Wirtschaft und Umwelt entstammt gleichfalls dem Denken der Zeit der Auseinandersetzung vor Zwentendorf und Hainburg. „Längst hat sich die Erkenntnis in Österreich durchgesetzt, dass nur die völlige Dekarbonisierung der gesamten Gesellschaft unter den Voraussetzungen eines nachhaltigen Wirtschaftens im ökologischen und ökonomischen Sinne die einzige Wahl für uns und unsere Kinder ist“, sagt Gewessler. „Die Streichung der Überschrift des Bundesverfassungs-Teils, der „die Nachhaltigkeit, den Tierschutz, den umfassenden Umweltschutz, die Sicherstellung der Wasser- und Lebensmittelversorgung und die Forschung“ sicherstellen soll, zugunsten eines verkürzt gesehenen „wettbewerbsfähigen nachhaltigen Wirtschaftsstandorts“, ist bedenklich, noch dazu unter dem Aspekt der Anlassgesetzgebung. Wir begrüßen, dass NEOs hier die Notbremse gezogen haben und dieses Vorhaben auf Eis legen. Wir fordern NEOs und die SPÖ weiterhin auf, diesem Ansinnen eine deutliche Absage zu erteilen. Es führt uns geradewegs zurück in die Zeit vor Hainburg und Zwentendorf.“

„Der Angriff auf die Umweltverträglichkeitsprüfung muss gestoppt werden. Die bisherige Gesprächsverweigerung der Umweltministerin ist ein demokratiepolitisch sehr schlechtes Signal. Schließlich wäre sie die oberste Beauftragte für Umweltschutz in Österreich“, sagt WWF-Geschäftsführerin Andrea Johanides. „Unter dem Vorwand der Verfahrensbeschleunigung will die Bundesregierung wichtige Umweltrechte schrittweise beschränken und aushebeln. Potenziell umweltschädliche Großprojekte sollen möglichst ohne kritische Stimmen durchgeboxt werden. Das geht zu Lasten von Mensch und Natur.“

Der beschlossene Abänderungsantrag zum UVP-Gesetz stößt auf besonders starke Kritik: Mehrere Umweltorganisationen würden damit, aufgrund einer unsachlichen Mitgliederhürde, aus der UVP ausgeschlossen, andere zur Offenlegung privater Mitgliederdaten gezwungen, wenn sie sich weiter in Umweltverfahren einbringen wollen. Bisher konsultierte Juristen halten die geplanten Schikanen für europarechtswidrig und eine Verletzung des Datenschutzrechts. „In Zukunft würden wichtige Stimmen für die Umwelt wegfallen. Weiters ergibt sich eine massive Rechtsunsicherheit für die Wirtschaft. Denn der rechtswidrige Ausschluss von anerkannten Umweltorganisationen würde die Aufrollung jedes künftigen Verfahrens ermöglichen, falls ein Betroffener den Rechtsweg einschlägt“, erläutert Johanides.

Die neuen Schikanen für Umweltvereine sowie das „Standort-Entwicklungsgesetz“, dessen Entwurf samt Genehmigungs-Automatik sämtliche Fachleute für mehrfach rechtswidrig halten, sind besonders unter Kritik. Dazu kommen das umstrittene Staatsziel Wirtschaftsstandort sowie ein „Standortanwalt“, der in Zukunft Umweltanliegen kleinreden soll.

Großprojekte müssen sorgfältig geprüft werden

„In der UVP machen engagierte Umweltschützer auf konkrete Gefahren für Mensch und Natur aufmerksam. Dadurch werden Projekte sauberer, sicherer und gesünder für die Bevölkerung. Genau das muss auch in Zukunft gewährleistet sein. Denn die größten Projekte dieses Landes erfordern auch eine entsprechend sorgfältige Prüfung auf Basis hoher nationaler, europäischer und völkerrechtlich gebotener Standards“, sagt Johanides. Die WWF-Geschäftsführerin äußert den Vorschlag, über sinnvolle und nachhaltige Vorschläge zur Qualitätsverbesserung von Umweltverfahren zu reden, zum Beispiel durch mehr Amtssachverständige in Behörden, bessere Unterlagen der Projektwerbenden oder vorgelagerte „Strategische Umweltprüfungen“ am Runden Tisch.

UVP-Parteistellung nur mit Kriterien möglich

Angesichts jüngster Aussagen der Umweltministerin in der ORF-Pressestunde stellt der WWF Österreich klar, dass Umweltorganisationen schon jetzt einen eigenen Anerkennungsprozess beim Umweltministerium durchlaufen müssen, um Parteistellung in UVP-Verfahren zu erlangen. Eine anerkannte Umweltorganisation ist demnach ein Verein oder eine Stiftung, der/die sich vorrangig dem Umweltschutz widmet, gemeinnützig (also nicht gewinnorientiert) arbeitet und seit mindestens drei Jahren vor Antragstellung tätig ist. Die Bundesministerin selbst stellt per Bescheid fest, ob diese Kriterien erfüllt sind und in welchen Bundesländern Parteirechte ausgeübt werden können.


Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /