© succo - pixabay.com
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Demontage des Umweltrechts droht: Großprojekte könnten rechtswidrig durchgeboxt werden

WWF und Greenpeace fordert Rücknahme des Standort-Entwicklungsgesetzes – Wirtschaftsministerin muss Entwurf zurücknehmen- Im Widerspruch zu Nachhaltigkeitszielen und Klimaschutz

„Die geplante Demontage des Umweltrechts würde kritische Großprojekte einseitig bevorzugen und im Endeffekt zu mehr Umweltzerstörung in Österreich führen.“
(Hanna Simons, WWF Österreich )

„Schande für Österreich“ (Greenpeace)

Wien - In einer heute eingereichten Stellungnahme kritisiert Greenpeace das geplante Standortentwicklungsgesetz der österreichischen Bundesregierung scharf: Es sei europarechts- und verfassungswidrig, Bauprojekte nach zwölf Monaten automatisch zu genehmigen, obwohl sie der Umwelt schaden können. Zudem sei intransparent, warum manche Projekte den Sonderstatus eines „standortrelevanten Vorhabens“ erhalten und andere nicht. Auch die Rechte von Anrainerinnen und Anrainern werden mit dem neuen Gesetz völlig ausgehebelt, warnt die Umweltschutzorganisation. Greenpeace fordert, das Gesetz ersatzlos zu streichen.

“Mit dem neuen Gesetz startet die Regierung einen noch nie dagewesenen Angriff auf den Umweltschutz. Künftig können Großprojekte wie Mülldeponien, Schnellstraßen oder Kraftwerke in der Nachbarschaft errichtet werden, auch wenn sie der Umwelt und der Gesundheit schaden. Die Anrainerinnen und Anrainer sind den Folgen wie Luftverschmutzung, Lärmbelastung oder Zerstörung von Natur und Naherholungsgebieten schutzlos ausgeliefert. Dieses Gesetz ist eine Schande für Österreich und muss weg”, sagt Greenpeace-Sprecher Lukas Hammer. Besonders kritisch sieht die Umweltorganisation, dass Projekte unabhängig vom Verfahrensstand nach zwölf Monaten genehmigt werden müssen - auch wenn sie den Umweltschutzbestimmungen widersprechen. Hier wird ignoriert, dass Projektwerber meist mehrere Monate brauchen, bis sie die Unterlagen vollständig eingereicht haben. Sie könnten künftig das Verfahren einfach aussitzen und nach Ablauf der Frist eine Genehmigung erhalten, obwohl die Umweltprüfung noch nicht gestartet wurde.

Den Sonderstatus für Projekte als „standortrelevante Vorhaben“ können nur Landeshauptleute und Regierungsmitglieder beantragen. Der Entscheidungsprozess bleibt geheim, kann durch das Parlament nicht kontrolliert werden und ist damit anfällig für Korruption. Ausschlusskriterien, etwa für besonders klima- oder umweltschädliche Bauvorhaben, sind nicht vorgesehen. „Mit dem neuen Gesetz wird die Regierung zum Erfüllungsgehilfen der Konzerne. Sie schaltet den Umweltschutz aus und mauschelt sich hinter verschlossenen Türen mit der Industrielobby Großprojekte wie Schnellstraßen, Mülldeponien oder Kraftwerke aus. Damit droht in Österreich Naturzerstörung auf Bestellung von Konzernen - gegen den Willen der Bevölkerung und auf Kosten von Umwelt und Gesundheit“, kritisiert Hammer.

Ordentliche Verfahren sind der Kern des österreichischen Umweltrechts. Umweltauflagen führen dazu, dass gefährliche Auswirkungen auf Mensch und Natur minimiert werden. Der vorliegende Entwurf ignoriert die Vorteile dieser Verfahren, die einen großen Beitrag zur hohen Lebensqualität in Österreich geleistet haben. “Die hohe Lebensqualität und der soziale Frieden gehören zu den großen Stärken unseres Landes. Die Grundlage dafür ist vor allem auch eine intakte Natur. Mit dem vorgeschlagenen Umweltdumping-Gesetz gefährdet die Bundesregierung die Umwelt und damit den Standort Österreich, anstatt ihn attraktiver zu machen”, so Hammer.

Ähnlich reagiert er WWF Österreich: Er fordert die ersatzlose Rücknahme des Entwurfs von Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck. „Die geplante Demontage des Umweltrechts würde kritische Großprojekte einseitig bevorzugen und im Endeffekt zu mehr Umweltzerstörung in Österreich führen. Viele Verbesserungen wären nicht mehr möglich, Umweltschutz und Rechtsstaatlichkeit kommen unter die Räder“, warnt Hanna Simons, die stellvertretende Geschäftsführerin der Natur- und Umweltschutzorganisation. Besonders negativ ist die mehrfach rechtswidrige Genehmigungs-Automatik: Ausgewählte Großprojekte sollen ein Jahr nach Regierungsbeschluss automatisch genehmigt werden, selbst wenn die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) noch gar nicht abgeschlossen ist. Weiters im Entwurf: eine massive Einschränkung des Rechtsschutzes sowie ein intransparenter Beirat zur Diskussion und Auswahl von Projekten, was ebenfalls EU- und Völkerrecht widerspricht.

Aus Sicht der Standortentwicklung droht tatsächlich ein Eigentor mit Anlauf. Denn der Entwurf ist laut allen bisher veröffentlichten Bewertungen von Verfassungs- und Umweltrechtlern in vielerlei Hinsicht rechtswidrig, wodurch massive Rechtunsicherheiten für Projektwerbende entstehen. Im Endeffekt wäre nicht nur mit einem EU-Vertragsverletzungsverfahren zu rechnen, sondern würde auch jede Genehmigung gerichtlich angefochten und höchstwahrscheinlich aufgehoben. „Viele Bewilligungen wären praktisch wertlos, das UVP-System würde langfristig geschädigt“, sagt Simons.

Umwelt-Veto im Ministerrat gefordert

Auch aus ökologischer Sicht ist es ein fatales Signal, wirtschaftliche Aspekte derart einseitig vor den Umweltschutz zu stellen. „Der CO2-Ausstoß steigt, der ökologische Zustand unserer Flüsse ist kritisch, der Bodenverbrauch liegt im europäischen Spitzenfeld. Umso sorgfältiger müsste jedes weitere Großprojekt geprüft werden“, verweist WWF-Vertreterin Simons auf aktuelle Berichte und wissenschaftliche Studien. Gefordert sei daher auch Umweltministerin Elisabeth Köstinger, die in den nächsten Wochen wieder in ihr Amt zurückkehrt. „Eine Umweltministerin, die ihre Aufgabe ernst nimmt, müsste ein solches Gesetz spätestens im Ministerrat per Veto stoppen. Ansonsten verspielt sie jede umweltpolitische Glaubwürdigkeit“, sagt Simons.

Widersprüche zu Nachhaltigkeitszielen und Klimaschutzprogrammen

Der Gesetzesentwurf konterkariert auch die Nachhaltigkeits-Verpflichtungen der Republik, darunter die Sustainable Development Goals (SDG) und das Klimaschutzabkommen von Paris. Selbst die insgesamt wenig ambitionierte nationale Klimastrategie „Mission 2030“ hält zum Ausbau der Energie-Infrastruktur fest: „Die angedachten Maßnahmen sollen umwelt- und naturverträglich sein und der weiteren Bodenversiegelung sowie Beeinträchtigungen von Kulturlandschaft und Lebensräumen Einhalt gebieten“. An anderer Stelle steht: „Dabei gilt es, ‚negative „lock-in-effekte‘, das heißt langfristige kohlenstoffintensive Investitionen, die mit hohen künftigen Übergangskosten einhergehen, zu vermeiden und somit das Risiko von „Stranded Assets“ zu minimieren.“ „Statt diese Ziele mit Leben zu erfüllen, sollen neue Großprojekte mit potenziell erheblichen Umweltfolgen einfach durchgeboxt werden. All das möglichst ohne kritische Öffentlichkeit“, kritisiert Hanna Simons die falsche Stoßrichtung der Bundesregierung.

Wirksame Reformen statt Kahlschlag

Die UVP-Berichte des Umweltministeriums zeigen, dass die meisten Projekte abseits weniger großer Ausreißer relativ rasch bewilligt werden, sobald die erforderlichen Unterlagen vorliegen. Nur vier Prozent der Bescheide sind negativ. Ursachen für länger dauernde Verfahren sind meistens überlastete Behörden sowie unvollständige bzw. fehlerhafte Unterlagen der Projektwerbenden. „Daher muss die Bundesregierung endlich die Ursachen der Probleme angehen“, fordert der WWF in seiner Stellungnahme. Einerseits braucht es mehr Ressourcen für die Behörden, etwa für Amtssachverständige. Andererseits muss die Qualität der von den Projektwerbenden eingereichten Unterlagen erhöht werden, weil es sonst weiterhin zu unnötigen Verzögerungen kommt. Zudem bräuchte es einen klaren gesetzlichen Rahmen für eine naturverträgliche Energiewende. Ebenfalls großes Potenzial hätte der verstärkte Einsatz von „Strategischen Umweltprüfungen“ am Runden Tisch, um Konflikte schon im Vorfeld möglichst zu entschärfen.

Generell sollten sich Politik und Verwaltung stärker mit Bürgerinitiativen und Umweltverbänden austauschen, um Naturschutzkonflikte frühzeitig zu erkennen. „Wer Planungs- und Genehmigungsabläufe wirklich beschleunigen will, muss dafür auch mehr öffentliche Akzeptanz schaffen. Mit einem rechtswidrigen Kahlschlag ist niemandem geholfen“, bekräftigt Simons.


Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /