© Riegler Riewe / MED CAMPUS Graz
© Riegler Riewe / MED CAMPUS Graz

Nachhaltiges Bauen – was heißt das eigentlich?

Nur weil ein Gebäude energieeffizient ist, ist es noch lange nicht nachhaltig. Auch Wirtschaftlichkeit, soziokulturelle Aspekte und die Nutzung spielen für die Nachhaltigkeit eine Rolle.

Ein objektives Kriterium dazu ist das ÖGNI-Zertifikat. Wie Nachhaltigkeit in der Praxis umgesetzt wird und welche Rolle dabei das innovative Nutzungskonzept spielt, zeigt die derzeit größte aus öffentlichen Mitteln finanzierte Hochbau-Baustelle in Österreich, der MED CAMPUS Graz.

Der Begriff Nachhaltigkeit ist in aller Munde, was er genau bedeutet ist allerdings oft unklar. Auch im Bereich der Gebäude wird Nachhaltigkeit allzu oft mit Energieeffizienz gleichgesetzt, bestätigt Ines Reiter, Geschäftsführerin der Österreichischen Gesellschaft für Nachhaltige Immobilienwirtschaft (ÖGNI). Das greift allerdings zu kurz. ‘Ein Gebäude ist dann nachhaltig, wenn es nicht nur umweltfreundlich und ressourcenschonend errichtet und betrieben wird, sondern auch wirtschaftlich effizient ist und einen hohen Komfort für die Nutzer gewährleistet’, so die Expertin. Bei Erfüllung all dieser Kriterien spreche man von einem ‘Blue Building’ (im Gegensatz zur Bezeichnung ‘Green Building’, die sich primär auf die ökologische Qualität bezieht).

Nachhaltigkeit ist keine Kostenfrage

Gleichzeitig wirtschaftlich effizient und umweltfreundlich? ‘Das ist kein Widerspruch, nachhaltige Baustoffe sind oft gar nicht erheblich teurer als vergleichbare konventionelle Baustoffe’, sagt Reiter. ‘Es ist aber unerlässlich, dass man die Aspekte der Nachhaltigkeit schon beim Projektstart, noch lange vor der Planung, berücksichtigt. Je früher man beginnt, desto effizienter und kostensparender ist es.’

Bedarfsorientierte Umsetzung und interdisziplinäres Team

Als eines der Vorzeigeprojekte für Nachhaltigkeit gilt die derzeit größte aus öffentlichen Mitteln finanzierte Hochbau-Baustelle in Österreich, der MED CAMPUS in Graz, für den gerade das Modul 1 errichtet wird. Bauherr und Errichter des neuen Campus für 4.200 Studierende und 840 Mitarbeiter ist die Bundesimmobiliengesellschaft (BIG), Mieterin die Medizinische Universität Graz (Med Uni Graz).

* Der MED CAMPUS hat als erstes Forschungs- und Laborgebäude Österreichs eine ÖGNI-Vorzertifizierung mit dem höchsten Standard ‘Gold’ erhalten, eine international anerkannte Auszeichnung für nachhaltige Gebäude, bei der ökologische, ökonomische, soziokulturelle/funktionale und technische Faktoren sowie die Prozessqualität berücksichtigt werden (siehe unten).

* Heinrich Schober, Programmleiter MED CAMPUS: ‘Beim MED CAMPUS wurden und werden keineswegs starr diverse Richtlinien und Kriterien befolgt sondern Nachhaltigkeit lösungs- und bedarfsorientiert umgesetzt, sodass Nutzer und Umwelt davon profitieren.’
Bereits vor dem Generalplanerwettbewerb im Jahr 2010 war die Nachhaltigkeit als zentraler Aspekt definiert, von Anfang an war ein interdisziplinäres Team im Einsatz (u.a. mit Experten für Energy Design, Tageslichtplanung, Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen etc.) und die künftigen Nutzer wurden aktiv eingebunden.

* Derzeit arbeitet man gerade am Betriebsführungskonzept, um auch eine nachhaltige Nutzung im Alltag zu gewährleisten. Dazu sind unter anderem mobile Applikationen geplant, die den Studierenden und Mitarbeitern die Funktionen von Beschattung, Lüftung etc. erläutern.

* Hellmut Samonigg, Rektor der Med Uni Graz: ‘Die Med Uni Graz ist sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst und nimmt diese auch mit dem neuen MED CAMPUS als Vorzeigeprojekt für Nachhaltigkeit sehr ernst.’

Deutliche Einsparungen

Das Haustechnik-System des MED CAMPUS führt zu einer deutlichen Reduktion des jährlichen Gesamt-Primärenergiebedarfs sowie des Treibhauspotenzials in der Höhe von rund 36 Prozent im Vergleich zu einem virtuellen Laborgebäude. Die Lebenszykluskosten reduzieren sich um rund 29 Prozent.

Vorteile für die Nutzer

Von der nachhaltigen Gestaltung profitieren die Nutzer u.a. durch folgende Punkte:

* Gesundheitsförderliche Arbeits- und Lernumgebung: maximale Tageslichtausnutzung, Möglichkeit zur natürlichen Belüftung, kaum Lärmbelästigung durch reduzierte Nachhallzeiten und Akustikflächen an Decken und Wänden, höherer thermischer Komfort im Sommer und Winter durch eine optimierte Gebäudehülle, schadstofffreie Baustoffe etc.

* Förderung der sanften Mobilität: Verlängerung einer Straßenbahnlinie der Grazer Verkehrsbetriebe, neue Geh- und Radwege

* Barrierefreies Gebäude

* Bewusste Platzierung und Strukturierung der Baukörper, um das Areal als wichtigen Frischluftkorridor für die Stadt Graz nicht zu gefährden

Einzigartiges Nutzungskonzept

Einzigartig in Österreich ist das Nutzungskonzept, das am MED CAMPUS umgesetzt wird. Dieses führt zu einer Bündelung von Synergien und besseren Vernetzung. Der MED CAMPUS befindet sich unmittelbar im Nahbereich des LKH-Univ. Klinikum Graz, die bislang auf das Stadtgebiet verteilten Institute der Med Uni Graz werden erstmals an einem Standort gebündelt und in Zentren zusammengefasst, außerdem sind forschungsprojektabhängig kompetitiv vergebene sogenannte ZMFII-Flächen und Core Facilities Teil des Konzepts.

Kriterien für die ÖGNI-Zertifizierung

Ein internationales Zertifizierungssystem, nach dem die Nachhaltigkeit eines Gebäudes beurteilt wird, ist DGNB (Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen), das in Österreich von der ÖGNI (Österreichische Gesellschaft für Nachhaltige Immobilienwirtschaft) umgesetzt wird.

Bei der Zertifizierung gilt folgende Gewichtung:

Ökologische Qualität: 22,5 Prozent (Ressourceneffizienz etc.)
Ökonomische Qualität: 22,5 Prozent (Lebenszykluskosten, Wertentwicklungskosten)
Soziokulturelle und funktionale Qualität: 22,5 Prozent (Nutzerfreundlichkeit, gestalterische Qualität, Funktionalität)
Technische Qualität: 22,5 Prozent (technische Ausführung)
Prozessqualität: 10 Prozent (Qualität der Planung und Bauausführung)

www.ogni.at


Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /